Die Lösung

Gestern sagte ein Bruder, dass sich meine Schreibe deshalb nicht verlegen und verkaufen lasse, weil ich nicht nahe genug am Zeitgeist schreibe. Ich könne die Menschen nicht verunsichern und dann hoffen, diese würden mein Zeug lesen und sogar applaudieren. Ich solle endlich so schreiben, wie man es hier auf Erden gewohnt sei, nicht abgehoben, ohne konkret zu werden. Wenn er etwas lese, müsse er emotional aufgewühlt werden, Behauptungen müssten untermalt sein von Beweismitteln, und überhaupt sei meine Schreibe eine Zumutung für alle wohlmeinenden Bürger dieser Erde.

Er ist mein Bruder, ich kann ihn verstehen, sozusagen mein eigen Fleisch und Blut, dieser Mensch kann sich wohl kaum irren. Ich muss mich bessern. Lösungen, sagte mein Bruder, Lösungen zu den bestehenden Weltproblemen solle ich bieten. Kassandra rufen könne jeder Idiot, das sei keine Kunst und auch keine Philosophie. Als ich ihn darauf hinwies, dass wenn Kant, Schopenhauer und Nietzsche haufenweise zeitgeistige Beweise für ihre Gedankengebäude geliefert hätten, statt zeitlose Philosophie zu betreiben, heute kein Schwein mehr diese Geistesleuchten lesen würde, bemerkte er, kein Schwein lese heutzutage noch Philosophien. Das sei der beste Beweis dafür, dass man in seiner Zeit und im Geiste seiner Zeit schreiben müsse, um überhaupt Erfolg zu haben. Es lohne sich nicht, Bücher zu schreiben, die kein Mensch lesen wolle, weil sie nur Unmut erzeugen würden. Ich sagte ihm, dass meine Bücher selbst die Lösung seien, denn sie zeigten Kapitel um Kapitel, Wort um Wort, warum unsere Systeme nicht funktionieren können und kollabieren werden. Zudem zeige ich in den Texten immer wieder, dass ein System nicht funktionieren kann, das sich selbst zerstört, alle Vorrechte nur einer Spezies zuschanzt, sämtliche in Milliarden von Jahren gebildeten Ressourcen in drei bis vier Generationen verbraucht, Tiere nur für sein Essvergnügen und andere Eigenverliebtheiten seiner Spezies quält und missbraucht, die Lebensgrundlagen eines ganzen, nicht wiederherstellbaren Planeten systematisch zerstört, statt Zielvorstellungen zu verwirklichen, nur die reine Geldgier regieren lasse, statt echte Kultur zu schaffen, nur dem Zeitgeist fröne; dass immer mehr eine Welt vorherrsche, wo die Immunschwächen und Tierkrankheiten exponentiell zunehmen und die Geistesschwäche der Volksmassen überall in der Welt geradezu explodiert. Dies alles findet statt in einer Zivilisation mit körperbetonten, geistesfeindlichen Spasskulturen, die im wesentlichen den ideellen Ursprung und den philosophischen Motor in den USA und insbesondere in Hollywood haben, wo heute noch der Auslösemechanismus und ein fortlaufend neuer Antrieb am Kochen gehalten werden, zur Nachäffung empfohlen an alle anderen Staaten der Erde.

Alles leeres Geschwätz, meinte die Frau meines Bruders, ganz im Gegenteil: Ich solle aufhören, die armen USA als Verursacher allen Übels zu bezeichnen, die anderen Staaten seien nicht besser. Und im Übrigen seien die Wissenschaftler daran, überall die Lösungen zu unseren Problemen zu bringen, während ich nur immer den Teufel an die Wand malen würde und dabei keine echten Lösungen zu bringen im Stande sei. Resigniert stellte ich fest, dass ich eben nicht für diese heutige Menschheit schreiben würde, ebenso wenig wie die Philosophen des Altertums, sondern für eine Menschheit, die sich nach dem grossen Kollaps der Systeme die Augen reiben und verzweifelt nach Ursachen und Wirkungen suchen würde. Nebenbei würde dann auch erkannt, dass die USA als wesentliche geistige Triebfeder für eine irre Geldgierwelt der Bereicherung von einzelnen Menschen und der Entreicherung des Planeten in historischer Sicht seit dem Zweiten Weltkrieg angesehen werden müssten, ein Staat, der bei dieser Zielsetzung ungeheure Verbrechen an anderen Staaten mit anderer Denkart verursacht habe, man denke nur an Vietnam und all die rechtsgerichteten und von den USA unterstützten oder gar eingerichteten Diktaturen, die ihre eigenen Landsleute folterten und massakrierten. Dies wenigstens könne man Deutschland nach dem Krieg nicht vorwerfen, auch wenn dieser Staat für seine historischen Verbrechen noch keineswegs gesühnt hätte.

Doch leider werde das Hauptverbrechen der Systemvertreter nie genannt, nämlich die Zerstörung der Zukunft unserer Nachgeborenen, wo vielleicht Milliarden von Menschen und anderen Lebewesen ins Gras beissen werden, weil einzelne Staaten dieser Jetztwelt falsche Maximen des Lebens durchsetzen, gegen besseres Wissen und gegen den Rat einzelner, sehr weiser Menschen, die man durchaus als Philosophen ihrer Zeit betrachten könne. Ganz leise meinte ich schliesslich in einem Anflug von Wahnsinn, dass es vielleicht auch passieren könne, dass nach dem grossen "Knall" verschiedene Opfer des vergangenheitlichen Systems auch auf meine Bücher stossen könnten, um dann ultimativ verstehen zu wollen, warum alles geschehen konnte und um gleichzeitig erstaunt festzustellen, dass die Lösungen schon immer da waren, aber wegen gewollter System- und Betriebsblindheit von niemandem ernst genommen worden sind. Wer lässt sich schon mitten in der Party die Stimmung verderben, wenn das Haus schon lichterloh brennt?

Mit der Wahrnehmung der Realität in seiner Zeit hatte der Mensch schon immer seine liebe Mühe: Van Gogh malte doch sehr schön und keiner hat's gesehen. Bach machte doch sehr schöne zeitlose Musik und fast keiner der damals Lebenden hat es wirklich gehört. Einstein hat doch nicht nur die Welt erklärt, sondern auch gezeigt, wohin diese Aufklärung führt und keiner hat ihm geglaubt. Hitler hat doch gezeigt, wie man Juden ausrotten muss und ein ganzes Kulturvolk hat ihn begriffen. Was soll ich daher kommen und glauben, meine Werke würden begriffen, wenn mein eigen Fleisch und Blut noch nicht einmal begreift, warum ich überhaupt schreibe? Es ist zum Kotzen, es ist zum Die-Löschtaste-im-Computer-Aktivieren, es ist zum Fortschmeissen meiner sämtlichen Bücher und Buchentwürfe. Diese Menschheit scheint nicht berechtigt, dass irgend jemand sich Gedanken macht und zum Überlebensproblem dieser Spezies in die Tasten greift. Es gibt Worte für diesen Zustand: Undankbarkeit und Dummheit, Zeitgeist und Sauglattismus, Verlust der Denkfähigkeit und Aufbau von Lügengebäuden der leichteren Lebensart, Diebstahl am eigenen Planeten und Denkfaulheit aus Eigennutz, Schein vor Sein, Hochachtung vor Niedrigem und Missachtung von Hohem, Selbstauslöschung als Programm der eigenen Geldgier, Müdigkeit vor dem einzig noch verbliebenen Feind: der fundamentalen Wahrheit über unsere Verbrechen am Planeten und unseren zukünftigen Generationen.

Lösungen? Welche Lösungen, lieber Bruder? So denk doch endlich selber einmal nach, statt einen guten, gewesenen Freund von mir nachzuäffen, der nach der Lektüre eines meiner Bücher sagte: "Da wo du in deinen Büchern endest mit den Gedanken, da fange ich erst an zu denken." Dieser Freund hat sein Leben lang nichts anderes gemacht, als Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen mit falschen Versprechen, und dabei hat er viele in den Konkurs geschickt. So gut hat er unsere Systeme begriffen. Und dieser "Freund", so wie mein Bruder und die meisten anderen, auch Verleger und Lektoren, beginnen also erst zu denken, wo der Autor René Delavy am Ende seiner Denkfähigkeit angelangt ist? Dann Prosit, du schöne Welt der Machbarkeitsfanatiker. Lösungen entstehen vielfach aus einem Umkehrschluss: Wenn ein Schriftsteller oder Philosoph nachweist, welche vorgebrachten Tatsachen eben die Ursachen einer verqueren Entwicklung aller Systeme auf einem Planeten sind, dann ist doch klar, dass meist das Gegenteil des kritisierten Tatbestandes die Lösung ist. Also: Weniger Schnelligkeit, weniger Fortschritt, weniger Geld, weniger Kapitalismus, keine Börsen, weniger Flug- und Autoverkehr, weniger Energieverschleiss, weniger Mobilität, weniger Tierquälerei, weniger Macht in den Händen von unfähigen und machtgierigen Personen, mehr Recht und Schutz für alles, was schwach ist und schliesslich eine Entwicklung, die sich so ausnimmt, dass man sich als Grundplanung vorstellt, dass auch noch in Tausenden von Jahren Pflanzen, Tiere und Menschen ein Leben haben auf unserer einzigen Lebensgrundlage im All, der Erde.

Und damit bin ich schon bei den nächsten "Weniger": Weniger falsche Philosophien der Übermacht des Menschen und seines Willens zur Macht, weniger Zeitethik und Instant-Moral der politischen Korrektheiten, weniger zeitgeistige Kultur und Kunst, mehr Tiefenschärfe im Denken, mehr Varianten im Betrachten von Lebensmöglichkeiten und vor allem: Zurücklehnen, langsam die Zeit verstreichen lassen, nichts Schädliches mehr tun und abwarten, bis die Menschheit intelligenter geworden ist und die richtigen Philosophen verstanden hat. Alles auf einen Nenner gebracht: Statt einer Geld- und Fortschrittsgesellschaft soll eine Zielgesellschaft der Nachhaltigkeit des Lebens entwickelt werden. Aus ultimativen Gründen, nicht weil ich es so wünsche oder schreibe. Wir haben weder zu wünschen noch zu wählen. Wir haben nur noch ganz wenig Zeit, richtig zu handeln, auch wenn ich schon lange nachgewiesen habe, dass der Point of no return schon seit vielen Jahren überschritten worden ist. Andere sollen ihr "Prinzip Hoffnung" nochmals aktivieren, denn es braucht ein gehöriges Mass an Dummheit, die Realitäten bis zum heutigen Tag nicht durchschaut zu haben.

Ich danke somit allen für diese Art wertvoller Unterstützung, denn nur diese Wut über die Dummheit von allem, was mich umgibt, dieser Frust, ist wahrscheinlich die eigentliche Antriebswelle und Triebfeder meines Schreibens. Denn die von der Menschheit verehrten Null-Lösungen in Politik und Wissenschaft potenzieren und entkräften sich gleich selber, angetrieben von einer Eigenliebe und Geldgier, wie sie noch keine Spezies im Zeitablauf der Ewigkeit entwickelt hat.  Habt Dank für die Geistesblumen, die ihr mir ständig und ein Leben lang vor die Füsse geschmissen habt, liebe Mitbewohner dieses Planeten. Was daraus resultiert, liegt hier vor, und vielleicht - wage ich zu denken - liegen damit auch gut gedachte und realisierbare Lösungen vor für unsere kaum überwindbaren Gegenwartsprobleme.