Neues philosophisches Denken


Hier kommt das ganze Buch "CHAOS"
- bestehend aus Texten - geschrieben von 1975 bis 2000 -


Einführung



Das geistige Chaos vernichtet philosophisches Denken



In der heute gelebten Wirklichkeit gilt der Grundsatz, dass philosophische Werte das Verstehen eines umfassenden Weltbildes nicht mehr ermöglichen, weil das Reale zu komplex geworden sei.

Doch warum ist ein Infragestellen von philosophischen Theorien heute nicht mehr möglich? Warum wagen sich die heute lebenden Philosophen anfangs des dritten Jahrtausends nicht an eine fundamentale Gesellschaftskritik? Warum wird eine Analyse unseres Denkens in einer übertechnologisierten Zeit als unmöglich, unrealistisch oder gar als lächerliches Bemühen betrachtet?

Es gibt viele Gründe für diese unverständliche Resignation vor dem Realen, diese irreale Zurückhaltung im grundsätzlichen Denken und diese Weigerung, die undurchdringlich scheinenden Vorgänge in unserer Zeit verstehen zu wollen. Die Philosophie der Spätmoderne, der Zeit vor der absoluten Unrealisierbarkeit des sogenannt Machbaren, der wissenschaftlichen und technologischen Unübersichtlichkeit - wobei die Intellektuellen wie auch die Massen unterschiedslos betroffen werden und die Konsequenzen zu tragen haben - verlangt andere Denkansätze als jene, die im Altertum oder im Mittelalter erforderlich waren.

Tatsächlich, das Begreifen der Zusammenhänge im gesellschaftlichen Leben droht chaotisch und unüberschaubar zu werden. Diese Wahrnehmung des Wirklichen ist eine ideelle Täuschung. Jede Tatsache und jede Lebensform wäre grundsätzlich einsehbar und könnte von einem wachen Geist verstanden und erklärt werden. Die heutige Gesellschaft ist nun aber so gestaltet, dass niemand so "dumm" sein darf, dieses Wagnis einzugehen, schon gar nicht anerkannte Intellektuelle, die heute ihre Berühmtheit nicht durch gewagte Denkweisen aufs Spiel setzen werden. Ihr Erfolg war das Denken in eng abgesteckten Bezirken und sie erhielten Anerkennung für eben diese beschränkte Leistung. Wer universelle Denkmodelle propagiert in dieser Zeit, hat im heutigen Medienverständnis bereits verloren.

Was sagen die allseits gerühmten Leuchten des Geistes zu ihrer Untätigkeit, sprich Unfähigkeit des Analysierens? Sie sagen:

-           Die Wirtschaft ist dermassen komplex geworden und dermassen undurchschaubar, dass man sie den Wirtschaftsführern, den Aktionären und den Konzernherren überlassen muss. Jungdynamiker sollen entscheiden, in welche Richtung die Globalisierung und der Neoliberalismus vorangetrieben werden sollen, wie unmenschlich der Kapitalismus noch werden darf.

-           Die Politik ist nicht mehr beeinflussbar. Wer einmal die Macht in den Staaten, in den übergeordneten Staatsgebilden und in den Gremien erworben hat, wird unanfechtbar. Nur die Erwählten kennen noch die wahren Zusammenhänge und nur sie entscheiden, wie über ihre Tätigkeiten zu referieren sei. Erst wenn Fehler gemacht werden, die nun jeder denkfaule Mensch versteht, öffnet sich am meist unwesentlichsten Ort endlich eine Angriffsfläche. Da öffnet sich ein Fenster zur Politisierung des unprivilegierten Volkes, was folgerichtig nur mit einer gewollten Verengung des Geistes und völliger denkerischer Anspruchslosigkeit geschehen kann. Das "Volk" wird nie in der Lage sein, sich über komplexere Zusammenhänge zu ereifern. Und so schätzen sich die Machthaber, die von den Auswirkungen ihrer eigenen Politik auch nicht viel verstehen, glücklich und geschützt, in Anbetracht des anerkannten Umstandes geistiger Unterforderung der von ihnen Bemächtigten.

-           Die Kultur ist nicht mehr beurteilbar, weder durch die Kulturschaffenden selbst noch durch das Kulturpublikum. Im Zeitalter des "Alles geht" gibt es keine realistische und einwandfrei kontrollierbare "Grössenordnungen des Könnens" mehr, keine Ideale der Kunst, die noch zu verstehen wären. So kann jeder kommen und sein Urteil über den real existierenden Kitsch und Unsinn abgeben. Nur noch das Sinnvolle ist gefährdet, denn zur Beurteilung des Sinns ist es notwendig, den Kopf noch einmal anzustrengen, bevor der längst angebahnte kulturelle Niedergang hin zu einer geistigen Endzeit fortschreitet und in nicht ferner Zukunft seine unterste Stufe findet.

-           Die Wissenschaften sind denkerisch zu universal und zu spezifisch geworden. Auf diesem Gebiet  reden nur noch die Wissenschaftler, die sich allerdings immer mehr in ihre geistigen Elfenbeintürme zurückgezogen haben. Trotzdem schwadronieren sie vor dem tumben Fussvolk der Unwissenschaftlichen, als bestünde dieses nur aus geistig minderwertigen Individuen, denen man jede Waffe, Pharmazeutik, Genmanipulation, Technik, Energieform usw. aufschwatzen kann. In diesem geistigen Klima ist der Begriff der Selbstverantwortlichkeit ein Fremdwort in allen Bereichen der Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft. Nicht Geist diktiert den Lauf der Welt, sondern die Gier nach Macht.

Also werden sich moderne Philosophen hüten, sich in diese Gebiete einzumischen, denn zu rasch könnten sie ihr Gesicht verlieren. Und so reden und schreiben sie im engsten Kreis ihrer Denkgefängnisse im Rahmen vorgegebener "bestehender Verhältnisse". Das heisst, sie übernehmen die Denknormen von Wirtschaftern, Politikern, Kulturbeflissenen und Wissenschaftlern und tun dann so, als ob sie diese kritisieren würden. In Tat und Wahrheit haben sie die Gesellschaft, so wie sie heute ist, dermassen verinnerlicht, dass sie die Bandbreite weder der Chancen noch der Risiken, die von den heutigen Denknormen ausgehen, erkennen können.

Hier muss mit der Fundamentalkritik am Denken der modernen, sprich um sich selbst kreisenden Philosophen und ihrer Realitätserfassung am Ende des zweiten Jahrtausends angesetzt werden: Wie kommt es, dass diese Denker das falsche, selbstzerstörerische Denkprogramm der bestehenden Verhältnisse nur noch bestätigen oder relativieren, nicht aber es entlarven und erklären können? Worin besteht die geistige Überforderung, die sich daraus ergibt, ein selbstgewähltes Denkideal mit dem bestehenden Denkkonsens eben nicht in Einklang bringen zu wollen, von einem eigenen Weltmodell aus nicht feststellen zu können, was alles schief gelaufen ist auf dem Weg zu unseren Gesellschaftsformen?

Warum übersehen die "Vordenker" der sogenannten zivilisierten Welt den Irrweg der fortschreitenden Verblödung im Allgemeinen, bei aller Intelligenz im technologischen Sinne? Stehen wir vor einer selbstgewählten Beschränkung der Vorstellungskraft mit dem Ziel, vom lesenden Volk noch verstanden, von ihm anerkannt und ausgezeichnet zu werden? Oder sind dies alles Zeichen einer unverständlichen geistigen Kapitulation vor komplexen Irr-Systemen, die ja in ihrer Gesamtheit kein Mensch versteht und von daher in der Lage wäre, sie zu korrigieren?

Es kann nicht sein, dass die besten Denker dieser Welt-Denker, die fähig sind, Riesenkonzerne zu leiten, höchst komplexe Systeme wie den Bau von Hochhäusern, Kernkraftwerken, Raketen, Flugsystemen zu beherrschen, Computerwissenschaften zu entwerfen - wegen der unübersehbaren Komplexität der Wissensstrassen das Seiende nicht durchschauen und verstehen können. Bei solchen Potenzialen an Intelligenz muss ganz einfach angenommen werden, dass diese Leute auch philosophisch erkennen, wie und unter welchen Umständen und Zukunftsaussichten sie leben und wohin dieses Leben führen wird.

Das "Seiende" sei verstanden als die bestehende Realität der Menschen auf der Erde heute, im Kontext der Historie aus der Vergangenheit, Planung des Seins zur Ewigkeit hin, das Verstehen des Seins im Raum der Galaxien, das Verstehen der Verkraftbarkeit schädlicher Einflüsse auf unsere Lebensgrundlagen Boden, Wasser, Luft; Absehbarkeit der Endbarkeit aller Ressourcen, eigentlich benutzbar für Millionen von Generationen, doch verbraucht zum "Nutzen" nur weniger Generationen.

Dieser Wahnsinn des "Seienden" sei nicht durchschaubar? Ja, was, in Gottes Namen, wollen wir dann noch durchschauen? Etwa den Mikro- und den Makrokosmos - ohne Weg und Ziel? Wozu? Als pure Abstraktion des Denkens in Kategorien des losgelösten technologisch-wissenschaftlichen Wahns? Woran erkennen wir wahre philosophische Werte? Kein schöndenkerischer Ansatz ist hier gemeint, soll man das fundamentale Wesen der Frage verstehen, sondern das Verstehen des Realen weit über die Grenzen des vermeintlich Wahrgenommenen hinaus. Weitergehende, neue Gedanken müssen dazu verhelfen, dass diesem Wesen der Gedankenwelt und den daraus fliessenden Irrwegen nachgegangen werden kann. Ziel ist es, dass wir bezüglich der Wahrnehmung unserer "Wirklichkeit" zu absolut neuen Schlussfolgerungen für unser Leben auf dem Planeten Erde gelangen,  die absehbare technologische, wissenschaftliche, ökonomische und ökologische und schlussendlich die politische Endentwicklung der Erdbevölkerung als logisches Resultat der vorgegebenen Denkstrukturen erkennen.

Die Entwicklung der Menschheit und aller natürlichen Gaben dieser kleinen Welt auf der Erde fliesst natürlich immer und kennt keinen Endpunkt. Doch die Entwicklung der Lebensgestaltung kann eine Form annehmen, die jeglichen Wert des Philosophierens überhaupt in Frage stellt und diesen Wert schliesslich ganz auslöscht. Nicht im esoterischen und intuitiven Denken ist die Lösung aus dem Dilemma zu suchen. Nur noch in sinnvollen Überlegungen, und zwar reduziert auf einfache Denknormen, weg von chaotischer Komplexität des Realen, liegen die Chancen für eine Weichenstellung zu lebbaren neuen Grundlagen des Denkens.

Deshalb fassen wir zusammen, was unter philosophischem Denken, das als erste Priorität  den langfristigen Schutz der Gattung Mensch zum Ziele hätte, zu verstehen wäre. Keine philosophischen Grundbedürfnisse im Sinne der gegebenen Zielsetzungen des langfristig positiv wirkenden Denkens sind:

1.         Letzte Erkenntnisse über die Naturwissenschaften erlangen zu wollen.

2.         Letzte Erkenntnisse über die Geisteswissenschaften erlangen zu wollen.

3.         Verstehen zu wollen, was Gott, das All, das Wesen des Lebens, des Seins und des Daseins überhaupt ist.

4.         Alles Schöngeistige wie Kultur, Kunst, Literatur, Musik, Lifestyle, momentane Modeströmungen des Denkens zu verabsolutieren.

5.         Alle philosophischen Theorien von Platon und Aristoteles über Kant und Schopenhauer bis hin zu Habermas und Sloterdijk als allein gegebene Richtschnur des Denkens zu akzeptieren.

Dagegen ist die philosophische Existenz des Menschen bei dieser fundamentalen Fragestellung auf folgende Grundbedürfnisse ausgerichtet:

1.         Zu verstehen, dass man als Mensch kein Ausnahmewesen ist und somit zu den biologischen Lebewesen dieses Planeten integrierend gehört und sich deshalb so zu verhalten hat, dass ein Überleben der Art möglich ist, im Schutz einer Natur, die sich selbst erhält und ernährt und deren Gleichgewicht von niemandem zerstört wird.

2.         Zu verstehen, was die Erde im ursprünglichen Sinne ist: Unsere Lebensplattform, ein Trabant einer Sonne, beheimatet in der unendlichen, nie verstehbaren Grösse des Weltalls, eine Tatsache, die uns zwingt, nie das Ganze je verstehen zu wollen, sondern nur in aller Bescheidenheit die geistigen Grenzen zu akzeptieren, die uns gegeben wurden, und darin das Mögliche zu realisieren.

3,         Zu erkennen, dass unsere Art zu leben - mit und ohne Hilfe all der Philosophien, die wir bisher benützten - uns an den Rand des Daseins führte und wir kurz vor dem Kollaps der Systeme, die unser Überleben garantieren, stehen.

4.         Zu erkennen, dass das Organisieren unseres Lebens im langfristigen Bereich eine Gratwanderung ist, dass es beinahe unmöglich ist zu verstehen, was das richtige Leben des Menschen im Einzelnen und im Kollektiv ist, innerhalb welcher Grenzen unsere Gattung und mit uns alle Arten an Tieren und Pflanzen leben können, zu erreichen, dass das Kollektiv so viel wie das Individuum zählt, dass Gerechtigkeit und Lebensfähigkeit für alle garantiert sind, dass die wichtigen Grundbedürfnisse befriedigt werden können, ohne dass Angst vor Vernichtung und Deprivation unser Dasein einengen, dass die politischen und wirtschaftlichen Vorgänge unserer Art als Ganzes und dem Erdball dienen im Sinne eines Überlebenskonzepts. Aus Tausenden von Möglichkeiten, die alle früher oder später in den Untergang unserer Art führen müssen, lange vor der biologischen Zeit, die uns theoretisch gegeben wäre, gibt es wahrscheinlich nur einen einzigen Weg, der langfristig gegangen werden kann, um obige Ziele zu erreichen, und dieser Weg ist mit Sicherheit kein kapitalistischer und kein sozialistischer Weg, sondern ein ethischer Weg der Machbarkeit. Diese Philosophie einer real gelebten Vernunft und verstandesmässige Einbettung in eine noch verstehbare Wirklichkeit versucht, ein frühzeitiges Erkennen von Fehlern und Ausgleich aller überschiessenden Vorgänge zu garantieren und anerkennt als oberste Zielsetzung, unsere Art und alle anderen Arten auf diesem Planeten vor einem vorzeitigen Ende durch Kollaps der Lebenssysteme zu bewahren.

Es ist diese Art von Philosophie, die zum Vornherein von allen Philosophen der Welt, seit Anbeginn des Denkens, hätte verfolgt werden sollen, anstelle der Theorien von Machbarkeit, Menschenwille, Gottesahnung, Anschauung und Ich-Gestaltung, diese menschenbezogenen Irrlehren des Denkens, die ganz am Schluss erkennen lassen, wohin der falsche Weg, eben aus einer Wahl von Tausenden, führte, wo doch der richtige Weg des Denkens und Handelns beinahe nicht erkennbar war.

Doch um zu verstehen, müssen wir zuerst die Wirklichkeit, in der wir heute leben, mit neuen Augen sehen können. Die folgenden Kapitel dienen vorerst, bevor ein geistiger Schluss gezogen werden kann, nur diesem einen Zweck: Analysiere und verstehe die heute unglaublich komplex gewordene Wirklichkeit ausserhalb gängiger Denknormen, die von beinahe allen Menschen auf diesem Planeten infolge eines Einheitsdenkens verankert worden sind. Erkenne die fundamentalen Mechanismen, die dieses Denken erzeugen, neu und ziehe dann daraus die Schlüsse, wie eine realitätsnahe Philosophie dieser Wirklichkeit  gerecht werden könnte. Schliesslich wird man sehen: Im Sinne eines Überlebensprogramms sind viele Teile bestehender philosophischer Denkansätze, nicht nur bezüglich der Finanzierbarkeit und Machbarkeit von Verhältnissen, nicht mehr haltbar in Anbetracht des Umstandes, dass die Denkschemen der modernen Menschheit für das Existieren der real gegebenen biologischen Systeme übermächtig geworden sind.