Welches ist eigentlich die Rolle aller Religionen in der Welt? Ihre Rolle müsste es sein, in den Menschen die positiven Seite ihres Charakters, höhere Erkenntnisse zu wecken und sie "anzuheben" in eine Sphäre höheren Seins. Das Bewusstsein um die Anwesenheit eines Gottes müsste doch dazu führen, dass Menschen es nicht mehr wagen, Verbrechen an anderen Menschen zu begehen, sondern höchste moralische Ansprüche an sich selbst stellen. Doch was geschieht in der Wirklichkeit stattdessen? Um die Übersicht wenigstens zu Beginn dieses Gedankens zu behalten, beschränken wir uns zuerst auf die Geschichte des Katholizismus, als Beispiel einer glorreichen Heilsgeschichte. Jesus Christus, unser aller Heiland, war doch zu Beginn dieser Historie für wenige Gläubige eine Lichtgestalt des höheren Menschentums, er war nicht nur ein Prophet, sondern der leibliche Sohn eines unleiblichen Gottes. Diese Ausgangslage war wenig erfolgversprechend. Doch wie immer macht der Zufall, was er eben will und so konnte es geschehen, dass am Schluss eine mächtige Kirche dastand, mit riesigen Palästen, Kathedralen, Prälaten im Ornat und Kopfschmuck, in purpurnen Gewändern und salbungsvollem Gebaren. Und an der Spitze ein Stellvertreter Gottes, ein Auserwählter, der für den Rest seines Lebens nun selbst Heiland spielen darf.
Wenn der wahre Christ noch einmal käme, nach 2000 Jahren, welche Tempel würde er wohl mit seiner Peitsche heimsuchen? Zu schön das Bild. Doch zuerst müsste man ihn auch noch erkennen, den wieder auferstandenen Heiland, damit man ihn auch schön als Ketzer verbrennen kann. Und damit sind wir mitten in der Heilsgeschichte dieses christlichen Glaubens: Waren es Hunderttausende oder gar Millionen, die lebendigen Leibes ins Feuer geworfen wurden im Namen dieses Christus, durch die Stellvertreter Gottes, weil man einer Teufels- und Hexenidee während Jahrhunderten aufgesessen ist im Namen dieses Glaubens? Und als die Juden dran glauben mussten, unter Hitler und Mussolini, auf welcher Seite stand da die alles wissende Kirche? Und heute, da die Erde überschwappt mit zu vielen einer Gattung, was tut da diese Kirche? Sie verlangt nach mehr, immer mehr Gläubigen, mit dem Geschlechtsakt dieser Gattung sei Gottes Wort schon über die zukünftige Masse gekommen. Und wer ernährt sie doch? Etwa diese Kirche der Alleskönner? Sarkasmus ist in diesem Fall viel zu schwach als Waffe des Erkennens, aber auch ohnmächtige Wut über die Erkenntnis des Realen hilft nicht weiter.
Sicher werden Religionskenner und Schaffer des Wissens daher kommen und erklären, dass die Historien des Islam, des Buddhismus und des Hinduismus und aller anderen Weltreligionen nicht zu vergleichen seien mit der Kirche des Katholizismus und ihren Schandtaten. Wagen wir wirklich diese Analyse und dringen ein in die machtvollen Geschichten dieser Glaubensrichtungen? Was werden wir finden? Nehmen wir doch gleich die geistige Abkürzung und sagen, dass jeder "Ismus" mit Schaden verbunden ist, dass Fanatismus, Alleinseligmachungsanspruch, Ausschliesslichkeit des Glaubens, Religionskriege, Anspruch auf alleinige Wahrheit eines ausschliesslich "richtigen" Gottes der eigenen Glaubensrichtung mit jeder Religion zwangsläufig verbunden waren und sind. Doch es sind diese Religionen, die für einen wesentlichen Teil des Denkens auf diesem Globus noch die Verantwortung tragen müssten.
Hier verweise ich auf mein Buch "Linien zum Himmel ziehen", in welchem ich von einem planetaren Fundamentalismus fasle, also auch ein "Ismus", der zu Fanatismus und Ausschliesslichkeit führen könnte. Doch ich erklärte in jenen Texten auch, dass es heute immer mehr religiösen Fundamentalismus der ausschliesslichen Wahrheit in der Welt gibt, der ausserordentlich gefährlich werden kann. Der sogenannte "planetare Fundamentalismus" hat dagegen nichts gemein mit einer Idee der Alleinseligmachung. Es geht um ein freiwilliges Verstehen der Vorgänge auf dieser Welt, das nur über individuelles Denken zustande kommen kann. Fundamental ist diese "Lehre der Vernunft" nur in dem Sinne, dass es einige grundsätzliche Werte des Seins auf diesem einsamen Himmelskörper, der Erde, gibt, deren Missachtung eine Gefahr darstellt, die noch in keiner Weise verstanden worden ist. Fundamental sollen meine Texte auch im Sinne von "Einfachheit" sein, eine Einfachheit und Langsamkeit in der Entwicklung von Gedanken, die jedoch nie auf Kosten eines tiefgehenden Denkansatzes gehen dürfen.
Nur eine Lehre der reinen Vernunft, der Erkenntnis über das wahre Wesen allen Seins auf dieser Erde, kann eine Aufklärung der freiwilligen Art sein, die uns noch weiter führen wird. Nicht etwa als Ersatzreligion, sondern im Gegenteil als nutzbringende Basis des Denkens verstanden, nicht aufgedrängt, nicht erzwungen, nicht doktrinär, sondern als Ausfluss eigenen Erkennens des Wirklichen. Blinder Glaube, und dies zeigt die "Heilsgeschichte" allen Glaubens, ist gefährlich und erzeugt Profiteure und Opfer. So wie sich die Dinge heute entwickeln, lässt die Zukunft diese Zweiteilung auch nicht mehr zu, denn bald werden wir nur noch Opfer sehen. Deshalb ist eine demokratische Denkweise des Erkennens, was Vernunft, was Verstand und was Glaube sind, eine ultimative Forderung. Und etwa gar nicht utopisch, ganz im Gegenteil: Es ist ein Wunder, dass statt dieses Denkansatzes in der Vergangenheit eine Vielfalt von doktrinären Religionen entstanden ist in der Welt. Eigentlich müssen wir nur wieder zurück kommen auf den Ursprung unseres Seins, eine Zeit, bevor fanatisches Glauben und der Beizug eines selbstgeschaffenen Gottes unseren Verstand und unser Denken zu vernebeln begannen.
Ich denke, die alten Griechen waren noch auf dem richtigen philosophischen Weg zu einer besseren Menschwerdung, einer anderen, als wir heute dazu verdammt sind, als uns gegebene, reale Geschichte des Menschentums erinnert zu werden. So zufällig kann eine Entwicklung der Menschengesellschaft aus der Wahl von Tausenden werden. Dies eröffnet uns andererseits aber auch die Chance, auf die Geschichte jederzeit Einfluss zu nehmen, wenn wir denn eine Änderung zu Besserem nur wollten. Die Losung lautet: die Selbstverantwortung des Denkens in einer ungemein kompliziert gewordenen Wirklichkeit zurück erlangen, die Wahrheit über unsere Vergangenheit in der vollen Tragweite erkennen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen, auch und gerade in Bezug auf die Wucht, die von Religionen, Esoterik, Sekten und Glaubenssätzen grundsätzlich (eben fundamental) ausgeht. Ohne Selbstreflexion sind wir kaum in der Lage, unsere Situation zu verstehen und darauf basierend wirksame Auswege aus selbstgeschaffenen Zwängen des Glaubens und Denkens zu finden.
Was hat Gott getan?
Der Nihilismus kennt keine Grenzen. Nicht meine Bücher streifen die Grenzen des Nihilismus, sondern sogenannt "moderne Denker" beschäftigen das Feuilleton immer mehr. Es gibt keine Tabus mehr. Sogar der biblische Gott wird bezichtigt, nicht über den menschgewordenen Jesus ans Kreuz genagelt worden zu sein, sondern aus einer verzweifelten Lage heraus Selbstmord begangen zu haben, um aus dem örtlichen Kreis der Götter auszubrechen und im Laufe der fortschreitenden Zeit ein universeller Gott zu werden.
Welch ein geistiger Schlamassel! Der allmächtige Gott des Weltalls macht also auf Politik und Kultur im Bereiche des menschlichen Denkens. Seine mit enorm eingeschränkter Geisteskraft versehenen Literaturmenschen schlagen Räder und verstehen gar nichts, wie immer. Es wird langsam klar, wer hier eigentlich Selbstmord begehen sollte. Wer Gott so versteht, dass er sich als Medium für unsere irren und verschachtelten Gedankenwelten hergibt, der darf das Wort Gott nicht in den Mund nehmen. Kein Mensch weiss, was oder wer Gott ist, keiner hat eine Vorstellung davon, was ein echter Gott, der nicht nur als Bibelgott zur Beruhigung der menschlichen Gemüter herhalten soll, was also ein solcher Gott der Unendlichkeit und Ewigkeit sein sollte. Denn unter diesem Niveau dürfen wir unseren Gottesbegriff niemals einordnen, sonst ist jede Diskussion darüber, was Gott und was Glaube ist, total überflüssig. Einen Coca-Cola- oder McDonald's-Gott braucht kein Mensch, egal ob dieser im christlichen, im islamischen oder im jüdischen Glauben als Figur eines Puppentheaters seine Vorstellung geben soll.
Eigentlich ist die Bibel ziemlich klar in der Frage, wie Gott eben nicht zu verbildlichen ist, und dieses Buch wurde zu einer Zeit geschrieben, als die Welt im wissenschaftlichen Sinne noch ein schwarzes Loch war. Doch nach der "Aufklärung" schreiben sich Idioten der schmalsten Denkkraft die Finger wund, um zu beweisen, dass wir mit Gott verfahren können - im Zeitgeistgehabe einer unglaublich oberflächlich gewordenen Geisteswelt - wie es uns gerade passt. Für mich ist dies der Beweis, dass es Gott nicht gibt, zumindest nicht einen Gott, der sich für den Zirkus, den seine Menschenkinder veranstalten, interessiert, sonst hätte er schon längst die Spekulationen um seinen Selbstmord beendet mit dem Selbstmord der kleinen Menschheit.
Wobei ich mir gerade selbst widerspreche, denn alles, was ich schreibe, geht in die Richtung, dass die Menschheit eben jetzt daran ist, kollektiven Selbstmord zu verüben und damit ist erwiesen, dass es Gott, der über unendlich viel Zeit und Geduld verfügt, eben doch gibt. Ob wir an diesen Gott noch glauben wollen, der sich weder historisch noch literarisch noch wissenschaftlich nachweisen lässt, ist mehr als fraglich, denn inzwischen hat der Grössenwahn der Menschen ein Ausmass erreicht, dass bald einmal die Sonne davon verdeckt wird und wir glaubenlos in einem dunklen Raum des Nichtwissens verharren müssen. Recht geschieht uns, denn wer schon möchte wenigstens einmal die Grenzen seines Denkens ausloten und als Folge in eine Starre der Bescheidenheit des Geistes verfallen? Vielleicht ist dies der Hauptgrund, weshalb wir so dramatisch auf einen Gottesglauben angewiesen sind. Nur sollten wir endlich damit aufhören, uns von IHM eine Vorstellung machen zu wollen und uns sogar als seinen Schöpfer zu sehen, der in unserem Namen Selbstmord zu begehen habe.
Die grösste Nullaussage der Welt ist folgende: "Ich glaube an Gott." Punkt. Diese Aussage ist von einer Ungeheuerlichkeit, die alle Grenzen sprengt. Denn "glauben" heisst im Prinzip "nicht wissen". Und der Begriff "Gott" heisst im Prinzip "etwas Unvorstellbares, nicht Definierbares, nicht Darstellbares und nicht zu verbildlichen, also eine Utopie mit Namen zu benennen". - "An Gott glauben" bedeutet somit in allen Weltreligionen im Klartext: "Ich weiss nichts von etwas, das nicht darstellbar und denkbar ist." Gläubige Menschen, die auf Nichtgläubige herabsehen wie auf Insekten und Andersgläubige verachten, sind im Grund die dümmsten Menschen auf dem Erdball. Ihre Anmassung ist riesengross, ihr Eigendünkel von einer Enormität, die einem universell denkenden Menschen kalte Schauer über den Rücken jagt. Zudem sind die Götter selbst beleidigt. Denn wenn sie nur durch die Kraft des Denkens tatsächlich existieren, müsste der Christengott unglaublich beleidigt sein, dass es noch Menschen gibt, die an einen Mohammedaner- oder Buddhistengott glauben und IHM damit seine Einzigartigkeit und Allmacht absprechen wollen. Doch lassen wir die Erdengötter aus dem Spiel.
Der ganze Gotteswahnsinn ist Menschensache, die schon so viele Opfer gefordert hat, Gefolterte, Verbrannte, Abgestochene, Eingekerkerte, Vertriebene, Ausgehungerte und so fort, dass es besser wäre, wenn es den Glauben an einen Gott nie gegeben hätte. Auch wenn einzelne Menschen Kraft schöpfen aus der Gottesahnung. Es geht nicht an, dass dieser Grund allein das Denken der Logik ausser Kraft setzen und unendliches Leid durch Grössenwahn erzeugen darf. Die Welt wird erst befriedet werden, wenn wir Prinzipien der Logik anwenden, um alle Feindschaften zwischen Menschen, aber auch mit Tieren und der Umwelt, bereinigen zu können, ohne die Fanatismen des Glaubens bemühen zu müssen. Es ist schwierig, den Glauben an Götter aus der Welt zu schaffen. Doch ebenso so sicher, wie die Übertechnisierung und Verwissenschaftlichung unser aller Ende bedeuten könnte, wirkt unsere Übergötterung der unreflektierten Art auf eine Weise, dass der endgültige Count down der Menschheit nur noch beschleunigt wird. Den Begriff "Gott" zu interpretieren heisst in diesem Sinne nicht, mit dem Selbstmord von Gott zu spekulieren, sondern die Condition humaine mit Vernunft und Logik zu Ende zu denken.