Mir wird immer wieder der Vorwurf gemacht, vor allem von Verlegern, dass ich meine Theorien und Texte besser absichern müsse, dass ich deren Wahrheitsgehalt "beweisen" müsse mit Zahlen, Hinweisen auf andere Literatur, auf Tatsachen, die das Leben des Menschen bewegen. Und überhaupt: Philosophie sei heutzutage total "out", alles sei schon geschrieben worden zur Philosophie, das zu schreiben wäre. Wenn ich den Empfehlungen der Besserdenker nicht folgen wolle, könne meine Schreibe nicht in Bücherform gegossen und dem staunenden Publikum dargeboten zu werden. Tatsächlich: Diesen Eindruck habe ich ebenfalls, wenn ich lese, was heutige Philosophen schreiben. In kleinen Aufgeregtheitsfenstern schreiben sie in höchstgestochenen Tönen vom Tagesgeschehen der ganz normalen Art. Sie begnügen sich damit, die bestehenden Verhältnisse von jetzt und heute zu relativieren und einige Retuschen an Politik und Wirtschaft vorzuschlagen. Sie sehen das Ganze des Geschehens in dieser Welt schon lange nicht mehr und begnügen sich damit, kleine Denkfehler im täglichen Ablauf der Menschheitsentwicklung zu kritisieren.
Andere Philosophen schreiben über gehabte Philosophien aus einer Zeit, als noch kein einziges Auto, Flugzeug oder Kernkraftwerk in Betrieb war, also Theorien auf der gesellschaftlichen Höhe des Mittelalters oder gar des Altertums, mit Stichwortverzeichnissen und Querverweisen, die oft dicker sind im Umfang als ihr pseudowissenschaftliches Buch über die Philosophie selbst. Doch damit wird eine Weiterentwicklung des Denkens nur vorgetäuscht und alle fallen darauf rein; vielleicht einfach auch deshalb, weil es so schön ist, nicht weiter denken zu müssen in einer Zeit, wo alles unkontrollierbar und unbeweisbar geworden ist und uns bis an die Grenzen des geistig Erträglichen verunsichert und uns physisch und psychisch zu erdrücken droht.
Dabei ist es doch so: Keine Religion und keine Philosophie kann mit Beispielen oder Zahlen reell auf "Richtigkeit" hin getestet und dann mit Logik "bewiesen" werden. Alles, was über das Wesen unserer Welt und uns selbst "geglaubt" wird, übersteigt unseren Verstand bei weitem. Selbst in Bereichen, wo die Beweisbarkeit das höchste Gebot ist, in der Naturwissenschaft, der Technik, der Informatik und den Wirtschaftswissenschaften, weiss man erst viel später, welche Auswirkungen hoch gelobte Errungenschaften und "Wahrheiten" eigentlich schon bei der erstmaligen Erfindung und Anwendung der Gedanken hatten. Man würde heute viele Erfindungen und Anwendungen in der Produktion und Dienstleistung gleich zu Beginn fallen lassen, wenn man wüsste, wohin diese Adaptationen der Phantasie hundert oder zweihundert Jahre später führen werden, welchen Nutzen und Schaden sie für die Allgemeinheit der Erdbevölkerung hatten oder erst noch haben werden. "Etwas" beweisen wollen in der Philosophie oder in der Religion ist ein Wahn, den kein Mensch, und ist er noch so intelligent, erfüllen kann. Wer und was wir sind, was die Welt, das All, die Erde, Gott, die Natur, die Biologie, die Unendlichkeit und die Ewigkeit ist, das werden wir immer nur spekulativ annähernd erfahren, jedoch nie wissen können. Unserem Wissen sind natürliche Grenzen gesetzt, und wer diese verlässt, fischt in trüben Gewässern des Geistes und gibt sich schliesslich dem Wahn der Machbarkeit preis, ohne den Preis, den dieser übersteigerte Glaube an die Fähigkeiten des Menschen schlussendlich fordern wird, zu kennen.
Und deshalb ist der Wunsch, ich hätte mein Denken sozusagen den Regeln der Naturwissenschaft zu unterwerfen, ebenfalls ein Wahn. Die Kraft des Denkens kommt aus der Logik, aus der Fähigkeit netzartigen Denkens, aus der gottgegebenen Gabe, langfristige und grundsätzliche Werte so in Frage zu stellen, dass man neue Gedanken, und zwar zu jeder Zeit der menschlichen Evolution, haben muss, um überhaupt leben zu können, um aus allen selbstgemachten Engpässen wieder herauszufinden, bevor wir uns vom Erdball selbst „wegdenken" mit falsch angewandten Philosophien und Glaubenssätzen. Und wie merkt man, ob man diesen neuen philosophischen Gedanken trauen kann? Indem man von jenen Gedanken, die nachvollziehbar sind und tiefgreifende Wahrheiten beschreiben, die noch nach tausend Jahren Bestand haben werden, darauf zurück schliesst und darauf vertraut, dass wer in diesen kontrollierbaren Gebieten logisch denkt, weit über den Hutrand der allgemeinen Wissenschaft hinaus, dass eben dieser Philosoph auch in den nicht kontrollierbaren Gebieten etwas Wesentliches und Neues zu sagen hat. Hier mit Zahlen zu jonglieren käme der Forderung gleich, der Jongleur solle nicht mit Bällen, sondern mit Elefanten jonglieren. Dies tun andere Philosophen auch nicht, sondern sie tun nur so, als ob sie dies könnten, nehmen Puppen-Elefanten der einfachen Denkart in kleinsten Denkfenstern und wirbeln damit so heftig in der Luft rum, dass alle den Kiefer fallen lassen und den Betrug nicht merken. Nur die Philosophen selbst wissen um den Beschiss und sonnen sich in falscher Grösse. Doch vor ihrem Tod werden sie wohl noch einmal zu sich selbst kommen und merken, dass sie nicht nur das Publikum, sondern gleich sich selbst ein Leben lang betrogen haben.
Irgendwie macht es mich traurig, dass geistige Substanz, wo sie vorhanden ist, missachtet wird, weil kein Mensch auf diesen rasenden Zug der Gedankenfreiheit aufspringen will und andererseits Denker, die im stehenden Zug aus dem Fenster tuten mit ihren "Weisheitshörnern" der unkoordinierten Art, vor einem ekstatischen Massenpublikum ihre geistigen Kunststücke abliefern und hemmungslos gefeiert werden. Dieser Frust muss ein denkender Mensch erst einmal wegstecken können, bevor er wieder in die Tasten greift. Doch wahrscheinlich ist es das ewige Ultimatum der Gene, das mich zwingt, hier nicht einfach klein beizugeben, sondern das Fundamentale denkerisch zu präsentieren, das zu beschreiben, was in dieser Welt noch denkbar wäre, bevor die Leute dort anlangen, wo wir alle hindriften: ans Ende des letztmöglichen nutzlosen Gedankens.
Kann es unser Ziel sein, ans Ende aller nutzbar zu machenden Gedanken zu kommen in einer entleerten Welt, nicht nur ans Ende unserer geistigen Existenz, sondern auch ans Ende der Natur, der Ressourcen, der Entmenschlichung durch falsche Prioritäten und Theorien des Denkens und deren Anwendung, der Waffen und der Technik? Eine falsche Informiertheit der oberflächlichen Art zu bewundern und zu fördern, wo die einen stets die anderen über den Tisch ziehen und keiner wissen will, wie dies alles möglich geworden ist? Wollen wir wirklich bis am Schluss unserer Existenz in dieser gedankenentleerten Welt leben? Ich habe mich dagegen aufgelehnt, seit meiner Kindheit, über ein ganzes Erwachsenenleben hindurch - und konnte doch nicht anders, als überall mitzuhalten, um nicht abzudriften in jenen Bereich, wo dir kein Mensch mehr materiell und geistig auf die Beine helfen kann - und ich will mein Leben beschliessen, indem ich jene Gedanken pflege, die ein Licht auf unsere tatsächliche Situation der Kleinheit der Möglichkeiten und des Geistes werfen. Und aus diesem Engpass heraus könnte man wieder eine Welt erfinden, die den Glauben an ein Quasi-Paradies auf Erden - wenigstens in der erstrebten Entwicklung unseres Seins und einer wieder gutzumachenden Gestaltung unseres Erdenlebens aus der Gegenwart - nicht als Unmöglichkeit mehr erscheinen liesse. Doch hier schliesst sich der Kreis zurück zum Beginn dieses Textes: Solange die Verleger Beweise für das Unbeweisbare fordern, hat offenbar noch kein Mensch verstanden, auf welchem Niveau und wovon ich die ganze Zeit schreibe.
