Was oder wer ist Gott?

Die Grundfrage, die sich hier stellt, ist jene nach einer Existenz eines allmächtigen "Gottes", der unser Dasein in allen Bereichen des Lebens diktiert und zumindest begleiten soll. Die Vorstellungen von Gott sind dermassen vielfältig und unübersichtlich, weil jedes Hirn eines jeden einzelnen Menschen seinen eigenen Gott denken muss, denn keine Religion liefert ein erkennbares Bild oder eine verstandeszugängliche Theorie, was oder wer Gott ist. Doch um dem Anliegen dieses Buches zu genügen, kann ich mich nicht um die Aufgabe drücken, selbst die Kriterien der Existenz eines Gottes denkend beurteilen zu wollen. Diese Glaubensfrage ist allerdings nur eine der vielen Grundlagen des menschlichen Denkens. Sie allein kann das Überleben unserer Art auf diesem Planeten nicht bestimmen, diese Frage nach der Rolle eines Gottes kann nur als durchaus interessanter Nebenschauplatz des Geistes betrachtet werden.

Wir kennen nur eine menschengemachte Realität. Die Realität, die Gott beabsichtigt, ist uns nicht zugänglich. Die Wahrnehmung dessen, was unsere Spezies für die Wirklichkeit hält,  diktiert auch unsere Wunsch- oder Wahnvorstellung von "Gott". Die Bibel diktiert es: "Du sollst Dir kein Bildnis von Gott machen." Dies ist wohl die intelligenteste Maxime, die je aufgestellt wurde, denn sie nimmt sämtliche Dilemmas der Geistes-, der Religions- und der Philosophiegeschichte vorweg. Wer diese Maxime missachtet, verheddert sich pausenlos in geistigen Räumen, die unsere Vorstellungswelt bei weitem überschreiten. Wie bei den Begriffen von Ewigkeit und Unendlichkeit sind wir beim Begriff von Gott ausserhalb unseres von Natur aus zugewiesenen Geisteskreises angelangt. Wir "schwimmen" in einem Meer von Gedanken und ertrinken in der Logik eines vermeintlichen Erkennens.

Einige wenige Fragen zeigen, was ich mit dieser Einführung meine. Wie kommt es und wie ist es mit unserer idealisierten Sicht auf Gott denkbar, dass dieser es zulässt, dass

-           Menschen andere Menschen foltern, Kriege führen, Andersdenkende verfolgen und töten, andere Menschen der Armut und dem Elend überlassen, diese dem Hunger und dem Durst preisgeben, nur nach der Maxime des Sozialegoismus leben, nur für die engste Clique sorgen, nur dem persönlichen Reichwerden frönen usw.?

-           Tiere andere Tiere quälen, töten, fressen und zu Gunsten der eigenen Nachkommenschaft aushöhlen, ja gar dem Kannibalismus verfallen?

-           Pflanzen andere Pflanzen verdrängen, ihren Lebenswillen abwürgen und alle gegen alle kämpfen?

Woher kommt dieses universelle Gesetz des Kampfes aller gegen alle, des Todes und Wiederauferstehens aller Orten, ein Gesetz, das keine Optionen offen lässt und uns offenbar verdammt, nicht nach unserer Ideologie des Gutmenschen, sondern  auf immer und ewig als schlechte Menschen in einem schlechten System zu leben? Ein System, das - gemessen an den menschlichen Denknormen des jetzigen menschlichen Evolutionsniveaus - unerträglich grausam ist?

Natürlich sagen nun die Evolutionstheoretiker, dass dieses Töten und Quälen schon deshalb sein müsse, weil die Stärkeren über die Schwächeren triumphieren müssen, soll eine Entwicklung, soll ein "Fortschritt", eine "Vollendung" aller Gattungen überhaupt möglich sein. Doch wozu eine solch unsinnige, schmerzhafte Entwicklung und wozu dieses Dem-Endpunkt-Zustreben, das immer in der Selbstauflösung und Selbstzerstörung endet? Ist die ganze Glaubenssache nur ein Dilemma, um dieser Endbestimmung entrinnen zu wollen? Und welcher "Erfolg" kann denn erreicht werden? Erstaunlich auch, dass dieses Überlebens- und Zerstörungsprinzip das ganze bekannte Weltall zu bestimmen scheint, dass also ein allmächtiger Gott, der alle Glaubenslehren einschliesst, dieses Prinzip "will", dass es Sein Wille ist, dieses endlose Morden und Ermordet-Werden zuzulassen,  ja eigentlich zu befehlen.

Dies gesagt, bemerken wir, dass dieses Gottesziel keinesfalls mit einem vernünftigen Menschenziel übereinstimmen kann. Es geht nicht an, dass das Prinzip "1000x Auschwitz" bei Menschen - und in einem eingeschränkteren Sinne gegenüber Tieren - die Zielsetzung der einzigartigen Spezies Mensch auf dem einzigartigen Planeten Erde sei. Doch damit bleibt die Frage, warum Gott dieses Prinzip will, auf Ewigkeit offen. Die Unerträglichkeit dieser Tatsache wird noch nicht einmal gemildert durch die Theorie, dass er damit nur die Grundlage zu einem späteren "Paradies" im Jenseits schaffen will.

Zurück zur Frage, was Gott sein könnte, zur Frage "Wer oder was ist Gott?" Folgende denkbare Möglichkeiten kommen mir jetzt gerade in den Sinn:

a.         Gott existiert und er will, dass alles so passiert, wie es eben passiert.

b.         Es gibt keinen Gott; er ist ein Hirngespinst des Menschen. Gott ist die Existenz des Alls selbst, ohne Zweck und Ziel, ohne Anfang und Ende. Die Menschen mussten deshalb einen Gott erfinden, weil sie aufgrund ihrer immer mehr entwickelten Intelligenz nicht anders konnten, als eine übernatürliche Instanz anrufen zu können, zwecks Bewältigung des Seins.

c.         Gott existiert, er hat seine Ziele, doch wir verstehen nicht, warum er alles sich so furchtbar entwickeln lässt, ohne je einzugreifen, und warum er Schmerz, Zerstörung, das Prinzip "Jeder frisst jeden, jeder bekriegt jeden, alle töten alle usw." zulässt. Er will es offenbar aus übergeordneten, uns nicht verständlichen Gründen, ohne Moral und Ethik im menschlichen Sinne zu berücksichtigen.

d.         Gott ist etwas, dass weder als Substanz noch als Geist unseren Gehirnen zugänglich sein kann. Er verbietet sich jeglichen Erklärungsversuch im Sinne von "Du sollst Dir kein Bildnis von Gott machen". Dies allerdings in einem viel fundamentaleren Sinne, als es die Bibel versteht.

Man könnte die Wahrscheinlichkeitsliste über die Möglichkeiten von Gott ins Unermessliche steigern, ohne viel dabei zu gewinnen. Deshalb wollen wir es bei diesen Punkten belassen.

Nun stellt sich in Anbetracht der obigen Gedanken die fundamentale Frage, ob sich unter diesen Gottesvoraussetzungen überhaupt eine Religion oder Philosophie entwickeln lässt, ob Menschen überhaupt Religionen und Philosophien haben sollen, können oder gar müssen. Der Mensch könnte stattdessen auf der Grundlage einer Lehre der reinen Vernunft versucht sein, an Gottes statt eine bessere Erden-Welt zu kreieren:

-           Kriege, Folter und Menschenverachtungen aller Art abschaffen

-           Wirtschaftssysteme so ändern, dass Armut, Hunger, Neid usw., der Vergangenheit angehören

-           Den Menschen Pflanzenmahlzeiten (soweit sinnvoll und möglich) vorsetzen, damit das unsägliche Quälen und Morden gegenüber Tieren eine Ende nimmt

-           Ein Paradies (der menschlichen Vorstellung entsprechend) auf Erden schaffen und hinnehmen, dass als logische Möglichkeit auf Tausenden von anderen sonnennahen Planeten im Weltall der Kannibalismus und das Elend der gegenseitigen Vernichtung andernorts weitergehen.

Doch dies ist nur die Basis eines Gedankens zum Thema des Gottesbeweises. Weiterführen muss ich ihn nun selber, da mir weder die Bibel noch die Philosophien oder die Wirtschaftslehren weiterhelfen. Das Gutmensch-Sein ist nicht der erkennbare Wille eines Gottes, der für uns bildlos und unerklärbar bleibt, denn dieser Wille wäre längst in die Tat umgesetzt worden. Wozu soll ein allmächtiger Gott denn zuwarten mit der Abschaffung von Irrglauben, Fanatismus, Aggressionen und Vernichtungstrieb, also von Menschen- und Tiereigenschaften, die zu Qual und Tod hinführen, die zwar nach menschlichen Kriterien sinnlos, aber leider der wesentlichste Bestandteil unserer Realität auf der Erde und, wie zu vermuten ist, im All sind? Wir müssen uns unsere Realität dort schaffen, wo wir überhaupt einen Einfluss geltend machen können: allein im Menschsein auf diesem Planeten, von uns selbst "Erde" genannt.

Einen besseren Gottesbeweis als diese Zielsetzung kann sich der Mensch nicht denken und schaffen. Lässt er anderen Zielsetzungen den Vorrang, dann spielt er Gott, indem er Menschen und Tiere und Pflanzen einem absehbaren Holocaust aussetzt. Dieser Gottesbeweis, als letzte Religion der Menschheit, kann und soll sich nur auf das Sozialleben des Menschen begrenzen, er soll die Tiere und Pflanzen machen lassen, was ihre Bestimmung ist und so wenig wie möglich, weder vernichtend noch erhaltend, intervenieren, denn seine Interventionen werden immer zu nicht voraussehbaren Konsequenzen führen und diese Konsequenzen werden meist von einer Natur sein, die in der Selbstauflösung der Gattung Mensch endet.

Also: keine Theorien zur gegenseitigen Menschenvernichtung, keine Genmanipulationen, keine Tierparks, keine Massentierhaltung, keine selbstzerstörerische Technologie, keine geistzersetzenden Religionen, Philosophien und Wirtschaftslehren, keine Ausdehnung der Menschenzahl an selbstvernichtende Grenzen, sondern Rückführung zu einer lebbaren Quantität einer Einzelgattung, und vor allem auch keinen identitätsauflösenden und von unserer Phantasie selbstgeschaffenen Gott. Dies ist letztlich die Grunderkenntnis meines Denkens zum Thema "Was oder wer ist Gott?"  Die Menschlichkeit kann viele Gesichter haben. Doch wir müssen erkennen, in welcher Weise das Denken über unser Sein bestimmend ist beim Ziel, unsere eigene Art zu erhalten oder aber zu zerstören, um sie schliesslich ihrer Selbstausrottung zuzuführen.

Wir glauben, dass das Erkennen eines wahren Gottes uns hilft, dieses Ziel zu erreichen. Wo aber dieses Erkennen unmöglich ist, weil unsere geistigen Kapazitäten dazu nicht ausreichen, müssen wir lebbare und erlebbare Ziele setzen, die jedem Menschen und der Menschheit als Gesamtheit zum Segen und Nutzen gereichen. Dies die letzte Philosophie, bevor uns andere Ungeiste ins Labyrinth der Illusionen verbannen und uns dort körperlich verhungern und geistig verdorren lassen. Der fundamentale Vorteil dieser Philosophie? Dass sie jeder lebende Mensch, wenn er sie durchdacht und verstanden hat, in ihrem Wert und ihrer Bedeutung anerkennen und die Relativität von richtigen und falschen Alternativen beurteilen kann.