Weltethik am Ende des 2. Jahrtausends

Ethik ist nicht teilbar. Wer sagte dies und was soll damit ausgesagt sein? Es soll also eine einheitliche Weltethik geben, die in etwa umschreibt, was Menschen tun dürfen und was nicht? Reine Augenwischerei und Heuchelei einer Gesellschaft, die jedes Augenmass, nicht nur in der Ethik, verloren hat und nur noch einer Moral, jener der Geldbeschaffung durch Wirtschaftswachstum, Bereicherung bei gleichzeitiger Zerstörung der Lebensgrundlagen, frönt. Somit ist die Weltethik eigentlich keine vernunftgesteuerte Sache, sondern das Resultat von verschiedenen, den Notwendigkeiten und Realitäten des täglichen Lebens angepassten Maximen, sofern diese finanziell gestützt werden können.

Ich erkläre mich: Die heutige Ethik ist geprägt von reinem Gelddenken und ist Ausfluss eines künstlichen Gutmenschentums der Reichen. Die reichen Staaten und Individuen können es sich leisten, dass körperlich und geistig invalide Menschen mit ungeheuren Mitteln versorgt werden können, betreut von Pflegern, die ihr Leben total in den Dienst dieser immer grösser werdenden Klasse von Menschen stellen müssen und dabei kaum verkraftbare psychische Leistungen zu Gunsten der Restgesellschaft für relativ wenig Lohn erbringen müssen. Diese Leistung ist nur in Ländern zu erbringen, wo Geld vorhanden ist. In den ärmeren Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas ist eine solche Versorgung illusorisch. Eine solche Weltethik ist in Wahrheit unethisch, denn sie fördert eine Zweiklassen-Gesellschaft auf diesem Planeten.

Weiter: Menschen, die nach einem Unfall praktisch tot sind, werden mit Intensivgeräten und -medizin, manchmal unter unsäglichen Schmerzen und psychischen Belastungen, wieder zum Leben "erweckt", um dann später vielleicht an Lungenkrebs zu ersticken. Dies alles nur, weil Geld vorhanden ist, das auch gebraucht werden könnte, um nicht verunfallten, geistig intakten Kindern in armen Ländern zu einer Ausbildung und Zukunft zu verhelfen. Doch das Eigeninteresse wird als gute Ethik verpackt und durch gutgläubige Medien an denkfaule Menschen verteilt.

Noch ein Gesichtspunkt: Menschen bringen andere Menschen um, wegen Geld oder anderer niederer Beweggründe, und müssen mit Milliardenbeträgen ein Leben lang von wieder anderen Menschen versorgt und betreut werden. Wer eigentlich bestimmt darüber, dass ein Mensch, der wissentlich und willentlich einen anderen Menschen ins Jenseits befördert hat, noch eine Lebensexistenz auf dieser Erde als berechtigtes Erbe ansehen kann? Gutmenschentum? Falsche ethische und moralische Grundsätze? Die Macht des Geldes, weil jeder befürchten muss, dass er selbst eines Tages vielleicht um sein Leben fürchten muss, wenn er sich wie ein Unmensch benimmt? Der eigentliche Skandal ist dabei noch nicht einmal, dass heuchlerische Grundsätze die Ethik der Mächtigen und der Geldbesitzenden schützen, sondern dass hingenommen wird, dass unschuldige, körperlich und geistig gesunde Menschen keine Lebensbasis haben und - und dies ist weit schlimmer als alles bis zu diesem Punkt Besprochene - dass unsere zukünftigen Nachkommen auf dem ganzen Erdball wegen der Geldgier und des Gutmenschentums keine Chance mehr haben werden.

Die Annahme, dass diese offensichtliche Schieflage im ethischen Denken kein Skandal sei, sondern gelebte Wirklichkeit, berechtigt alle Politiker und Medien zu behaupten, dass wir in der besten aller Welten leben würden und hier nichts zu ändern sei. Tatsache ist, dass in einigen Jahrzehnten die äusseren Umstände ultimativ verlangen werden, dass wir die ethischen Grundsätze so revidieren, dass sie lebbar werden und nicht nur zu einer Scheinethik für Privilegierte, sondern zu einer Gerechtigkeit für alle (auch für Opfer und Benachteiligte) und zu einer Vernunft des Überlebens (philosophisch fundamental gedachte Prinzipien gültig für alle Arten) führen werden. Die Weltethik könnte so einerseits das Resultat der gegebenen Möglichkeiten sein, den Planeten sowie die Menschen, die Tiere und die Umwelt vor uneinsichtigen, gewalttätigen und unzurechnungsfähigen Menschen zu schützen. Anderseits könnte die Weltethik auf einer Theorie der Vernunft von Machbarkeit und Nachhaltigkeit  basieren. Doch hier wird das Feld wieder so weit, dass sich alle Machtmenschen, die hier das Sagen haben, hinter der Komplexität des Problems verstecken können und zum eigenen Vorteil so weiter machen werden wie bisher, bis der Point of no return  definitiv erreicht sein wird.

Nicht der Mensch diktiert am Ende schliesslich die Weltethik, sondern die selbstgeschaffenen Lebensumstände im Spätzeitalter unserer Spezies werden die Grenzen der noch möglichen ethischen Grundsätze bestimmen, zu einem Zeitpunkt, der nicht mehr in grosser Ferne liegt.