Erkenntnisse nicht als Irrweg zu sehen, zementiert bestehende Verhältnisse
Kürzlich sagte mir eine intelligente und kultivierte Frau während einer Gartenparty: "Ihre Theorien zur Selbstvernichtung und Selbstverblödung in Ehren, doch woher nehmen Sie diese Kenntnisse? Vor vielen Jahren schon hat sich der Club of Rome mit dem Buch "Grenzen des Wachstums" schwer in die Nesseln gesetzt. Nichts ist eingetroffen, nichts war "wahr" an diesen Theorien, alles nur oberflächliche Hypothese, übertriebene Angstmacherei vor der Zukunft. Heute allerdings wissen wir: Eigentliche Grenzen des Wachstums gibt es nicht ...." Ich war von dieser Beweisführung dermassen erschlagen, dass ich im Moment nicht in der Lage war, auf diese im eigentlichen Sinne impertinente Frage eine gescheite Antwort zu finden, in dieser lockeren Party-Atmosphäre, wo man doch lieb sein soll miteinander.
Hier ist sie nun, die Antwort, nach nötiger Bedenkzeit:
Wenn erkannt wird, dass Metalle oder Erdöl statt zum Beispiel nach nur 100 Jahren auszugehen, aufgrund besserer Techniken zum Aufdecken und Ausnützen von Ressourcen neu 1000 Jahre hinhalten werden, so ist dies keine Widerlegung der Theorien des Club of Rome, sondern im Gegenteil eine Bestätigung der reinen Theorie der Grenzen des Wachstums und der Ausbeutung des Planeten. Wo liegt der Fehlschluss, der Denkfehler meiner Gesprächspartnerin und all ihrer Freunde der einfachen Denkart? Angesichts der vielen Millionen von Jahren der Verwendbarkeit der Erdgüter für die Menschheit, welche diese Güter jedoch innerhalb einer erdgeschichtlichen Sekunde des Daseins verbraucht - eben in 1000 Menschenjahren - welche alles verpufft, verraucht, zur Vergasung des Erdballs, der Tiere, der Pflanzen und zuletzt (im realen wie auch im philosophischen Sinne) der Menschen freigibt, angesichts dieser Tatsache, ist der Hohn und Spott dieser noblen Dame ein Wahrheitsbeweis für das kurzsichtige Denken der doch so aufgeklärten und kapitalkräftigen Menschen des Westens zu Zeiten des zweiten Jahrtausendwechsels. Oh heilige Einfalt! Warum hat diese repräsentative Frau, die sich in jeder geschäftsmässigen Situation in Szene setzen kann und einen Dialog auch mit den gescheitesten Leuten nicht zu scheuen braucht, selbst den geistigen Irrwitz des allgemein anerkannten Irr-Denkens nicht durchschaut? Warum darf sie sich eingebettet fühlen in einen geistigen Konsens des Nichterkennens der Wirklichkeit und der Wahrheit bezüglich des real existierenden Grössenwahns gegenüber der Pracht unseres geplünderten Paradieses?
Antwort: Das Nicht-denken-Wollen ist eine gewollte Strategie in Wirtschaft und Politik, ja sogar in der Religion und neuerdings auch in der Philosophie der neuen Denker. Nichts fürchtet ein wesentlicher Teil der Menschheit mehr, als dass die Privilegien einzelner Mächtiger verloren gingen, wenn das grosse Erwachen nun endlich einsetzen könnte. Und so werden belletristische Werke - die nichts über unser Sein und Dasein aussagen, sondern eine Bauchnabelschau der rein menschlichen Befindlichkeiten breit schlagen oder alles Lebende kriminalisieren, um eine Scheinspannung hervorzurufen in den Lesern - so hoch eingeschätzt und uneinsichtig gelobt infolge falsch angewandter Denkkriterien zur Philosophie und zur Literatur. Nachdenkliche, philosophische Werke werden ignoriert. Und dies ist noch nicht einmal eine Willensdemonstration. Die traurige Wahrheit: Dieses Verhalten ist verinnerlichte Fehlwahrnehmung in Bezug auf die Frage, was wichtig und was unwichtig sei in dieser Welt.
Immer mehr wird Literatur gleichgesetzt mit Romanen der leichten Art, Romane mit "historischem" Hintergrund, mit dieser beweihräuchernden Überhöhung des Gewesenen, immer mehr Bücher schildern eine oberflächliche Kriminalisierung des Alltags, nehmen Bauchnabelschauen einzelner Menschen als Mittelpunkt allen Seins, diese überflüssige Selbstverherrlichung einer Spezies, die längst geistig abgedankt hat auf diesem Planeten. Das niedrige Niveau der Gedanken gewöhnlicher und auch berühmter zeitgenössischer Literaten ist der beste Beweis für diese Behauptung. Es wird auch nicht der Versuch unternommen, diese Tatsache zu beschönigen und zu relativieren, denn der "Mann von der Strasse" und alle Literaturkritiker haben das richtige Kritikermass für das Wesentliche in unserer Existenz vergessen. Sie sind daran, oberflächliches Gehabe des Zeitgeistes auf die Spitze zu treiben und bemerken diesen Vorgang selbst kaum, so sehr haben sie diese Art des Schreibens und Denkens verinnerlicht.
Es ist also kein Wunder, dass die Dame von Welt an der Party sofort erkennt, wenn ein Mensch Fehlurteile verbreitet; sie fühlt sich auf der Siegerstrasse des falschen Konsenses, sie steht bezüglich der Frage, was richtige Wahrnehmung sei, auf der "richtigen Seite". Kurz zu denken und lang zu leben, das ist die Devise unserer veramerikanisierten Lifestyle-Gesellschaft. Man wird kurz leben, bald einmal, wenn wir nicht lernen, lang zu denken. Wollen wir Schein von Sein überhaupt unterscheiden können oder ziehen wir es vor, in einer Hollywood-Scheinwelt dahin zu vegetieren?