Extrem-Leben


Der tägliche Wahnsinn wird nicht gesehen (eine alte Schallplatte von mir, die Wiederholung macht die Fakten nicht besser, ich weiss). Fangen wir mit etwas Leichtem an, mit den Extrem-Sportarten, hier kann wenigstens noch jeder mitreden. Manche gehen in enge Schluchten und hoffen, dass kein Wasser kommt, andere steigen eisige Wasserfälle hoch und hoffen, dass es nicht bröckelt, andere hetzen mit Skiern auf Freerider-Hängen herum und bedecken andere mit Lawinen, andere schwimmen, rennen und radeln stundenlang bei Regen, Schnee und Hitze und werden wie griechische Götter gefeiert, wenn sie mit leeren Hirnen und ausgelaugten Muskeln endlich ankommen. Wieder andere springen mit Gummiseilen an den Füssen in den Abgrund. Doch wie üblich untertreibe ich masslos, denn die wahren Extremsporte sind noch gar nicht erfunden... Deshalb die Schocktherapie: Sollen doch alle am zu langen Seil in den Tod springen, wie kürzlich im Berner Oberland geschehen. Jeder ist für seine Blödheit selbst verantwortlich, da hilft auch späte Reue der dummen Verwechsler und die Trauer der zu Extremem erzogenen Kinder nicht weiter. Traurig zwar, geht ans Herz, doch wer hier aufhört zu denken, hat noch nicht einmal angefangen damit.

Reiner Zynismus! Falsche Empörung! Politische Unkorrektheit! Darf man nicht sagen, noch nicht einmal denken! Schweig, Unseliger! Wo ist die Pietät? Wenn das Dir oder einem Deiner Nächsten passieren würde, hä? Was würdest Du denn sagen, Dein Kind am Gummiseil, hä? Man muss halt zuerst denken, wenn man etwas sagen will und so. Wir, die in den Medien jetzt endlich mächtig Gewordenen, wir wissen das. Wir haben das begriffen. Wir sind vom Geist noch nicht so verblödet, dass wir das Wesentliche nicht sehen, hä. Wir sind es, das Volk, das denkt und lenkt. So schweig endlich, Unseliger, sonst stopfen wir Dir das Maul, wie schon anderen. Geh nach Moskau, aha, seit 10 Jahren kein moderner Ausspruch mehr? Dann geh dahin, dahin, wo der Pfeffer wächst, ja geh dahin, nur weg, wir wissen was recht ist, wir wählen eine rechte Partei, bezahlen weniger Steuern und können in London und Paris mehr shoppen und ficken, wenn denn der Flugstau behoben ist. Wir wissen alles und jedes. Reiner Zynismus! Falsche Empö...  Entschuldigung, die Sprache hat mich weggetragen, ich drehe im Kreis, immer im Kreis, immer ...

Die Dummen verstehen nicht die Argumente, sie sehen nicht, dass wer Argumente nicht versteht schliesslich entrechtet dasteht und alle auf ihm rumtrampeln und höhnisch lachen. Ihre "Retter" lachen sich krank. Wenn sie bei ihm sind, klopfen sie ihm gönnerhaft auf die Schultern und laden ihn in die richtige Partei ein. Der Reiche weiss: Ohne die Armen bin ich nichts, denn die reichsten sind auch die geizigsten Menschen, sie ficken und shoppen nicht oder nur sehr wenig und sie wissen mit ihrem vom Staat finanzierten Schulsack sofort, wenn sie ausgetrickst werden sollten und schaffen damit zu Lasten der Armen die Kapitalgewinnsteuer ab und bereichern sich schamlos mit ihrer höheren Kraft der wirtschaftlichen Logik. Ich drehe im Kreis...

Die Mittelmässigen sind anständiger: Du musst anders denken, sagen sie mit geheuchelter Menschenliebe. Wollen uns auf den rechten Weg zurückführen. Zeigen, wie man als Mittelmässiger richtig denken soll, in dieser Gesellschaft, die doch alles schon geschafft hat was sich der Mensch wünscht, wenigstens für die Bessergestellten in der Ersten Welt. Sie reden viel und denken fast gar nichts. Doch dies genügt, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen und sich aufzuregen, wenn die Altersrente nicht mehr finanzierbar ist.

Die Gescheiten sind noch anständiger: Sie denken in höheren Sphären des pragmatischen Denkens, der Akzeptanz des Bestehenden, der lieben Annäherung an die bestehenden Verhältnisse des Realen. Sie versuchen schon gar nicht, die Dummen zu überzeugen. Diesen muss man befehlen oder sie halt täuschen, wenn es denn nicht anders geht. Und die Gescheiten anderer Denkart muss man auf seine Seite ziehen können, ein Gezerre von rechts nach links und umgekehrt und meist sind die Gescheiten als Junge politisch links und als Alte rechts, was nur beweist, wie dumm sie schon in der Jugend waren.

Die Denker sagen: "Das ist eine Überlegung wert. Wir müssen dies analysieren und ausproben, das Kernkraftwerk, das Grossraumflugzeug, die Weltallstation, die Verwertung von Tierkadavern, die Wirkung des Otto- und Dieselmotors, das Funktionieren von Shareholder value, Globalisierung, Neoliberalisierung, Genmanipulation, Ehe von Schwulen (hier komme ich leider an die Grenzen meines Sarkasmus, weil nicht Gründe, sondern bestehende Normen die Denkgefängnisse der Denker füllen) und das Adoptieren von Kindern anderer Kulturstätten usw."

Hier verlasse ich das weite Feld meines Denkens und Kritisierens. Bei der eigentlichen Zielgruppe meiner Bücher ist Schluss mit Vernebelung der Realitäten. Ich sage: Ihr alle, Dumme, Mittelmässige und Gescheite, versteht alle von allem nichts! Diese Behauptung ist sozusagen mein Damoklesschwert gegen mich selber, doch wie sonst soll ich es sagen? Das Unsagbare am Ende der Zeit aller Zeiten, am Ende der Gattung Mensch? Soll ich auf weichen Sohlen geistig vor mich hin schweigen, nur damit es alle zufrieden sind? Es ist nicht meine Art, einen Hammerschlag des Geistes im luftleeren Raum zu belassen. - Deshalb folgt eine Offenbarung: Stellen Sie sich vor, dass die Menschen noch normal leben würden, also wie im Zeitalter vor dem Extrem-Leben. Und nun beginnen plötzlich die Tiere, sich extrem zu verhalten; Affen, Katzen und Hunde und alle anderen Tiere  laufen so Amok, wie wir es im Moment tun. Sie springen in Abgründe, rennen in Mauern, fliegen durch die Luft, reiten auf Karren im Wahn zu Tale, ersäufen sich im Übermut in Gewässern, fressen jeden Dreck und sich gegenseitig selber auf, machen Kriege, spielen Schau, zeigen sich gegenseitig die Ärsche und die Geschlechtsteile, fressen gegenseitige Kacke auf. Der normal gebliebene Mensch versteht nichts mehr von dieser Welt und sagt: "Wir müssen die Tiere wieder zur Vernunft zurück führen, sie sollen wieder wie früher normal leben, uns dienen, in der Massentierfabrik verrecken und sich stopfen lassen mit falschem Futter, dann sind wir wieder zufrieden mit unseren Tieren."

Also, in der jetzt wieder realen Welt von heute sehen die Tiere uns zu und stehen immer noch im Massenstall, und der Wahnsinn grassiert nicht bei den Tieren, sondern immer noch unter den Menschen; der Menschenwahnsinn, nicht der Rinderwahnsinn, greift um sich wie eine unaufhaltbare Flut. Und keine Medien empören sich am realen Geschehen. Im Gegenteil, es ist so - um im Tiervergleich zu bleiben - als würden sie schreiben, dass die Tiere eine neue Quelle des Lebens entdeckt hätten und nicht dem Amok frönen würden. Nein, die Medien empören sich nur ganz zu Beginn des Geschehens, wenn die Kritikfähigkeit noch gegeben ist, doch dann begeistern und begeilen sie sich am Geschehen, schliesslich animieren sie die Menschen, es dem interessanten Tun der Tiere gleich zu tun und am Ende stehen wir in der heutigen Wirklichkeit: Alle schreiben sie oberflächlichen Blödsinn über das menschliche Geschehen, noch nicht einmal politischen Betrug bei Präsidentenwahlen sehen sie in den richtigen Verhältnissen, sondern sind froh, dass sie die Produkte des Undenkens haufenweise verkaufen können und damit Gewinne machen. Früher machte man sich noch lustig über niedriggeistige Boulevardmedien. Jetzt sind wir endlich so weit, dass alle sich gegenseitig nachäffen auf diesem Niveau und deshalb darf die dümmste Zeitung des Landes in TV-Spots die Schlagzeile verschreien: "BLICK, die beste Zeitung der Schweiz". Keine Widerrede von nirgends. Wahrlich, wir sind weit gediehen in der Selbstbeschränkung unserer Ansprüche, nicht nur der geistigen.

Ich habe langsam Probleme mit meinem Hund: Ich vermute, dass er immer intelligenter wird und mich immer weniger als seinen Meister und Gott anerkennen will. Kürzlich hat er mir doch tatsächlich das Bungee-Seil aus den Händen gerissen und wollte selbst in den Abgrund stürzen. Neu ist, dass er unbedingt Formel 1-Rennen sehen will. Dabei bellt er mich an, dass die Menschen gar nicht so blöd wären. Er findet es sehr interessant, wenn Menschen in Boliden im Kreis rumfurzen, sich gegenseitig abfackeln, dann Flugzeuge kaufen mit Schubumkehr, in Konkurs gehen und schliesslich als so blöd erkannt werden, wie sie immer waren. Dass sie im Container hocken und sich abfilmen lassen, wie sie vögeln, scheissen und urinieren und dass es rechtens sei, wenn zuerst die billigen und dann die teuren Medien diesem Geschehen applaudieren und keiner mehr sehen will, was passiert. Ich wage schon nicht mehr, meinem Hund in die intelligenten Augen zu sehen, so sehr erschrecke ich über mein Spiegelbild in seinen treuen Augen: Hundeliebe einmal anders gesehen als es passionierte Hundehasser willentlich sehen wollen.

Der Wahnsinn ist Alltag, verinnerlichte Dummheit des Bestehenden. Wo wir hinschauen: Menschen, die sich in Potenziale des Wahnsinns begeben, in gelegentlich abstürzende Flugkörper hocken, in Fahrzeuge, die mit schöner Regelmässigkeit in Bäume, Mauern oder andere Autos rasen, Wertpapiere kaufen, die am nächsten Tag schon wertlos sind, die Vertrauen haben in hirnlose Politiker, sich von wirtschaftsgeilen Machtmenschen und profilneurotischen Wissenschaftlern an der Nase herum führen lassen, welche sich selbst zu Göttern erklären und damit helfen, dass wir uns alle so rasch als möglich selber zerstören werden. Der noch Denkende will und kann diese Wahrheit nicht begreifen. Er passt sich an, versucht zu erklären, was geschehen ist und noch geschehen wird. Er sieht die Parallelen von Extrem-Sport und Extrem-Leben - überall - und erschrickt sich zu Tode. Und am Ende schämt er sich nur noch, ein Mensch zu sein.