Wie erklärt man den Nachgeborenen die Machtpyramide zu Beginn des dritten Jahrtausends? Eigentlich ganz einfach: Man erklärt ihnen, wie Macht zu Stande kommt im reichsten Land der Erde just zu diesem Zeitpunkt. Sittenbild: Ein Präsident der USA sollte gewählt werden. Über dreissig Tage nach dem Wahltag besteht immer noch ein Patt zwischen Al Gore und George W. Bush, weil beide fast gleich viele Wählerstimmen erhalten haben in den USA und vor allem im Staate Florida. Würde nachgezählt, und zwar ganz genau mit allen Wahlzetteln, die die uralten Maschinen nicht lesen konnten, dann wäre wahrscheinlich Al Gore der Sieger. Nachdem aber die Gegenpartei Bush alles in Bewegung setzte, damit diese Nachzählung als "illegal" taxiert wird, kommt nun der arme Bush ins Amt der zurzeit mächtigsten Nation der Welt. Und würde damit mächtigster Mensch auf diesem Erdball. Würde er?
Eben, die Ohrfeigenkaskade-Theorie steht dieser Irrmeinung im Weg. Es besteht klar eine Machtpyramide in der Welt, die aber nur von Wenigen tatsächlich im ganzen Ausmass gesehen wird. Deshalb beginnen wir am Anfang: Obschon sich die Programme der Möchtegern-Präsidenten kaum unterscheiden, buttern die Wirtschaftsmächtigen Milliarden von Dollars in die Kampagnen ihrer Lieblinge. Sie erwarten als Gegenleistung, dass diese - einmal an der Macht - dafür sorgen, dass möglichst viele Waffen exportiert, Zigaretten und Schnaps verkauft, Landwirtschaftsbetriebe in den Konkurs getrieben werden, nur die Reichsten von Steuerermässigungen profitieren, immer noch die Hälfte der Bevölkerung keine Gesundheitsfürsorge hat, wie dies ein fortschrittliches Land verdienen würde, die Umweltschutzgesetze im Argen liegen bleiben, den übrigen Ländern die Regeln der Globalisierung diktiert und die mächtigen US Konzerne noch mächtiger werden - und beide, Al Gore und Bush - haben im Prinzip zugestimmt, dass diese Spendengeber völlig im Recht seien, für ihr gutes Geld entsprechende Resultate zu sehen. Also verohrfeigt die Wirtschaft die Politik. Ganz einfach, die oberste Stufe der Machtpyramide steht. Doch da ist doch noch die dritte Kraft im Staat, die Juristerei. Und die erste Macht, das Volk. Ja dann schauen wir doch staunend zu, wie diese "Mächte" sich so entfalten können:
Die Juristerei beschliesst unter demokratischer Mehrheit der Richter, die Stimmen in Florida von Hand nachzählen zu lassen. Die federalen Juristen der rechtslastigen Partei hingegen stoppen sofort das Zählprogramm und zwar so häufig und so radikal, dass es zum Stimmenzählen gar nicht kommen kann und die gleichen Juristen, die stoppten, argumentieren nun arglistig, dass die Verfallfristen für die Wahl des Präsidenten nicht eingehalten werden könnten, deshalb habe man erst recht nicht herauszufinden, wie das Volk (erste Kraft) gewählt habe.
Das Verblüffende an den Machtpyramiden der Spätmoderne: Die Wirtschaft, die Politik und das Volk sehen dem Wahnsinn zu und verstehen vom Ganzen gar nichts. Sie wollen endlich einen Präsidenten, und zwar einen, der ihnen die Wünsche von den Lippen ablesen wird. Sie wollen keine moralische Rechtfertigung für das Amt, keine Demokratie, die diesen Namen verdient und vor allem wollen sie keine Aufklärung, warum sie auf der ganzen Linie für dumm verkauft wurden von den Parteien, ihren Rechtsanwälten und Richtern. Und so geht die Ohrfeigenkaskade: Die Wirtschaft schlägt die Politiker, diese schlagen die Richter und Rechtsanwälte und alle zusammen schlagen das Volk, das sie alle "gewählt" hat. Und warum ist dies alles möglich? Weil die denkerischen Kapazitäten in Zeiten der chaotischen Entwicklungen bachab gegangen sind. Sie haben sich verflüchtigt, sich entschieden ins Jenseits des Verstandes abgesetzt - und keiner ist bereit, dafür eine Träne zu vergiessen.