Hollywoodisierung der Welt

Noch streiten sich die Geister: Ist es so, dass die amerikanische Kultur die ganze Welt zu überschwemmen droht oder ist im Gegenteil eine immer stärkere Ausprägung der kulturellen Vielfalt als Gegenreaktion festzustellen? So viele Menschen wie es gibt, so viele Meinungen bestehen bezüglich der Veramerikanisierung der Restwelt.

Doch beginnen wir im ganz Kleinen:

Ein Hollywood-Film funktioniert immer nach den gleichen Prinzipien: Das Alltagsleben aller Menschen wird dramatisiert, wird "verzufallisiert", indem im Film immer alles zu richtigen Zeit geschieht, der Hass, die Liebe, die Spannung, die Entspannung, der Mord, die Lösung. Einzelne Menschen oder Tiere oder Ereignisse treffen zu Gunsten des Unterhaltungswertes, der Dramaturgie, der Cliff-Hängerei, der Zuspitzung von Gefühlen, von Spannung, von Nervenbeeinflussungen immer dann ein, wenn sie diese Zwecke voll erfüllen können. Hier gibt es tatsächlich einen Unterschied zu europäischen, asiatischen oder afrikanischen Filmen, wo die Realitätsnähe doch viel grösser ist und deshalb als "uninteressant" immer weniger konsumiert werden kann.

Die Hollywoodisierung der ganzen Welt basiert auf der Grundidee, dass Zufall, Glaube, Liebe, alle Lebensumstände, je selbst Tiere und die Natur und Landschaft im Film "machbar" seien. Diese Idee wird mit der Zeit unwillkürlich immer mehr auf das echte Leben übertragen. Die Tricks, Beeinflussungen und Absichten der Regisseure müssen ultimativ durchschaut werden können, wollen wir nicht für dumm verkauft werden und wie Hampelmänner an den Strippen der Meinungsmacher der Spassgesellschaft erhängt werden. Bald verfallen wir einem Falschheits-Ideal zu Lasten der Realität, in der wir selbst leben, wenn sogar schon in Dokumentar- und Naturfilmen aller Art die Saat des Verfälschungsplans immer mehr am Spriessen ist. Kein Kritiker hat je diese fundamentale Problematik gesehen und gerügt. Im Gegenteil: Es wird immer mehr Mode, die Machart dieser Filme zu idealisieren und so nimmt man das Überhandnehmen des Schundes in allen Medien - Dramaturgie statt Wahrheit, Unterhaltung statt Aufklärung, Scheinwelten statt Ablichtung der Wirklichkeit - mit leichtem Geist in Kauf.

Unsere Gefühle, unsere Art zu denken, unser Wunsch, unterhalten und "genervt" zu werden gehen immer mehr in Richtung der Hollywood-Dramatisierung von Liebe, Hass, Mord und Totschlag, Menschendramen und Gutmenschentum. Dies ist viel gefährlicher als der simple Umstand, dass immer mehr Kinos und TV-Sender immer mehr von dieser Veramerikanisierung der Psychologie und des Menschen-, ja recht eigentlich des Realitätsverständnisses zulassen. Hier liegt die grösste Bedrohung für das Weltdenken und Weltfühlen: dass in Zürich, Lagos, Manila, Tokio, Peking, Rom, Melbourne und Moskau überall gleich gedacht und gefühlt wird. Im Buch "Gedanken in Turin" habe ich vor einer Hollywoodisierung aller Lebensbereiche gewarnt und geschrieben, dass in den USA schon fast alle Menschen so handeln und leben, als würden sie ständig von einer Kamera begleitet - die ganzen USA ein Big-Brother-Container und bald schon ist die ganze Welt ein Container.

Das ist die eigentliche Aussaat, die in die orwellsche Welt hineinführen wird, und dies, ohne dass wir es wirklich merken. Wer schon erklärt den Dreissigjährigen, dass die meisten falsch denken und falsch fühlen? Allein schon die Erwähnung dieses Vorschlages gilt als politisch unkorrekt: Woher nehmen ältere Intellektuelle das Recht, den Nachgeborenen zu erklären, dass sie in eine Hollywood-, in eine Big Brother-Welt hineinprojiziert werden? Ich meine, dass bald 90 % der Menschen kein Sensorium mehr haben werden für diesen Betrug. Es besteht vielleicht noch die Hoffnung, dass unter besten Voraussetzungen das Verhältnis in etwa 50 Jahren umgekehrt sein möge. Warum dies alles wichtig sei? Weil die Unfähigkeit, die Wirklichkeit zu erkennen, uns immun macht gegen alle notwendigen Erkenntnisse in Bezug auf die Wahrnehmung der sich rasch verändernden Welt, wie wir wirklich die Probleme der Zeit und des Lebens auf diesem kleinen Planeten zu Gunsten der Menschheit beeinflussen sollten und könnten.

Dass ich dies alles, trotz mangelnden Glaubens an eine Lösung, gleichwohl schreibe, hat allein damit zu tun, dass es nicht mein Ziel ist, die Welt jetzt zu belehren und zu verändern, sondern einer Rest-Menschheit nach dem grossen Kollaps zu erklären, wie alles gekommen ist und wie die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden gewesen wären. Dies ist keine moderne Schriftstellerei, denn sie ist viel zu weitsichtig. Doch es ist die einzige Schriftstellerei, die mich geistig bewegt, denn die heutigen Nabelschauen auf die gemeine Dummwelt des bestehenden Gefühlsdusels sind meiner Intelligenz nicht würdig. Dafür habe ich nicht ein Leben lang versucht, mehr zu verstehen und besser zu denken. Es sei den Profiteuren der Macht überlassen, sich mit weniger zufrieden zu geben, um von der Masse Anerkennung zu erfahren. Ich will dies alles nicht vor meinem Tod, wenn die wahren Fragen ein letztes Mal mit Nachdruck gestellt werden. Ich will stolz ins Grab hopsen, so wie Mozart es durfte, verlassen von allen, nur im Eigenwissen, nicht Nichts zurückgelassen zu haben.