Menschen und Götter

Wie andernorts dargelegt, sind wir sowohl Profiteure als auch Opfer der religiösen Idee der Allmacht irgendeines "Gottes". In Anbetracht der Überfülle dessen Machtpotenzials ist es für uns unmöglich, eine Definition von Gott zu erfinden, also legen wir das Leichentuch des Glaubens über die kritische Vernunft des Denkens und erlauben uns so nicht, auf wissenschaftlichem oder ethischem Weg den Gottesbegriff zu klären. Aus diesem Dilemma gäbe es einen Ausweg: Wir verbieten den Gottesbegriff und ersetzen ihn durch höhere Begriffe, die nicht Anlass zu Machtmissbrauch, Tötung Andersgläubiger, Verbiesterung des Geistes, Ankerfunktionen in der Selbstdestruktion, Ausredenherhalter für alle Sünden der Menschheit usw. geben könnten.

Es ist schwierig zu definieren, ob der Gottesglaube mehr Schaden als Nutzen für die Zeitdauer der religiösen Menschheit gestiftet hat. Wenn man an all die Kriege und Folterungen, die Hexenverbrennungen und Steinigungen denkt, die in allen Religionen wie die Pest gewütet haben, und dabei für einmal die Opferbrille aufsetzt, gibt es keinen Zweifel: Der Schaden überwog bei weitem. Doch auch der Nutzen ist nur schwer quantifizierbar: Alle die armen Leute, die nur dank ihres Gottesglaubens bestehen konnten im Leben, sind auf die andere Waagschale zu legen, wobei nicht klar ersichtlich ist, wie sich diese Menschen zu ihrem eigenen Nutzen verhalten hätten, wenn sie nicht den "Trost" der von Mächtigen vorgeschobenen Götter zur Verfügung gehabt hätten.

Ob es intellektuell vertretbar ist, in diesem Geiste den Gottesbegriff auf seinen Sinngehalt abzuklopfen? Ich meine, eine andere Art der Gottesnützlichkeit steht uns gar nicht zur Verfügung als jene, die effektiven Auswirkungen auf die kritische Vernunft in der Menschheitshistorie als Massstab zu bemühen. Tun wir dies nicht, werden wir nie wissen, ob die Idee, Götter zu haben, je von Bedeutung in Bezug auf den daraus - für die Menschheit als Ganzes - resultierenden Nutzen oder Schaden war. Doch allmählich stossen wir an neue Denkgrenzen und dabei ist der Gottesbegriff nur noch schädlich. Denn jetzt, wo wir endlich begreifen, dass ein Gott, der das Universum selbst ist, uns nicht wird weiterhelfen können im totalen geistigen Chaos, das wir selbst geschaffen haben, müssen wir diese übergeordnete Ordnungsgrösse verlassen und zurück zu den Philosophien, die für unsere Spezies geschaffen sind, kommen. Ich offeriere mich hiermit als Menschengott oder Gottmensch, in dem Sinne, dass jeder gute Gedanke, der die Lebensfortsetzung der Menschheit erst ermöglicht, Anspruch auf selbstschützende Beachtung und langzeitige Hochachtung haben sollte. Mein Antlitz, mein Körper, auf einer Säule, oder umgeben von einer Kirche, welch ein Traum! Dass ich bei diesem Irrwitz mit einem blöden Grinsen im Gesicht in die Tasten haue, zeigt mir und auch jedem anderen, dass sich Menschen nie und nimmer vergöttern lassen. Doch welche andere Möglichkeit haben wir denn, als die Götter entweder durch die Natur als Ganzes oder durch Menschen, die als Philosophen etwas geleistet haben in Bezug auf die Gesundung des Menschengeistes, zu ersetzen? Hat jemand eine bessere Idee? Dann aber her damit - subito!

Im Ernst: Die Götter aus den vielfältigen Religionen der Welt bringen uns alle noch ins Grab, je stärker die Bigotterie, selbst aus Staaten wie den USA, übergreift im Endkampf um das Bestehen auf einem leergesaugten Erdball, ohne Hoffnung, ohne Ressourcen, ohne sauberes Wasser, ohne atembare Luft, ohne Philosophie, die Sinn machen würde, und ohne Stolz auf eine Menschheitsgeschichte, die bis dato jämmerlicher nicht sein konnte und ultimativ eine anständige Fortsetzung erfordert in eine gedanklich besser bewältigte Zukunft. Wenn wir uns hier nicht bald andere Grössen aneignen, um an ihnen wachsen und gesunden zu können, werden wir an der Selbstdestruktion der kritischen Vernunft, nicht nur in den westlichen Zivilisationen, sondern in allen Regionen dieser Erde, jämmerlich verrecken.

Dies ist wieder einmal keine Voraussage oder Sciencefiction, sondern voraussehbare Realität, denn die Alternativen existieren solange nicht, bis die fundamentalen Eckwerte der kritischen Vernunft wieder ins Lot gekommen sind und ohne eine neue, von Menschen gemachte Philosophie sind wir endgültig am Ende allen Lateins angelangt. Menschen oder Götter? Ich glaube, die Wirklichkeit diktiert die richtige Wahl. Wir könnten uns nur noch ein letztes Mal selbst betrügen vor dem endgültigen Abschied.