Phantasien der neoliberalen Privatisierer

Unter dem Neoliberalismus ist die Phantasie der Privatisierer grenzenlos. Ihre Logik geht wie folgt:  Jedes vom Staat geführte Unternehmen, verwaltet von Beamten und gesichert durch die Arbeit von Staatsangestellten, ist des Teufels, kostet eine Unmenge an Steuergeldern, die Mittel solcher Betriebe werden a priori - so wird unterstellt - schlecht verwaltet und die Leistungen seien hundsmiserabel. Soweit das Weltbild bürgerlicher Hirne, die durch private Gewinne mit ihren Geschäften, mit Immobilien oder an der Börse reich geworden sind und deshalb den Unterschied von Privatwirtschaft und der Sicherung von Lebensbedürfnissen einer Allgemeinheit, die aus der Gesamtbevölkerung besteht, nicht sehen können. Doch ihre ideologische Blindheit ist so perfekt, dass sie nicht anders können, als ihre Theorien auch unter jenen konservativen Mitbürgern zu verbreiten, die keineswegs reich sind, aber gerne daran glauben wollen, dass der "Staat", den sie mit sich selber nicht identifizieren wollen, wirklich des Teufels sei und sie nur berauben wolle.

Daher besteht das beste Mittel, mehr Effizienz und Profite zu schaffen - ein Modell, das von Vorläufern wie Thatcher und Reagan vorexerziert worden ist - im Vorhaben, alle Dienstleistungen des Staates privaten Aktionären und ihren Managern zu überlassen. Dann kommt, so glauben sie, endlich rationales Denken in die ganze Geschichte, obschon man die Krisen der Bahnen in England kennt, der Elektrizitätswirtschaft in Kalifornien, der gewaltigen Probleme mit Transport, Wasser, Energieversorgung usw., die überall in der Welt entstanden sind, wo Staatsbetriebe in die Privatwirtschaft entlassen wurden.

Trotzdem werden Bahn, Post, Telefon, Elektrizität und Wasser - alles lebensnotwendige Dinge für jeden Menschen dieser Welt - weiterhin dem öffentlichen Interesse entzogen, Aktiengesellschaften gegründet, hoch bezahlte Manager gesucht und dann wird ein Feuerwerk der Machbarkeitsphantasien entfacht, in dessen Hitze jeder klare Gedanken verlustig geht. Zuerst steigen die Aktienkurse steil in die Höhe, weil alle Börsengurus daran glauben, dass es doch stimmen müsse, dass private Verwalter und ihre Angestellten und Arbeiter viel effizienter und rationaler arbeiten als Beamte und vom Staat beschäftigte Menschen. Dann garnieren sich die Topmanager mit sagenhaften Eigenlöhnen und Bonuszuteilungen der unverschämten Art, dann werden Angestellte entlassen und die Arbeiten auf weniger Köpfe verteilt, wodurch die Aktien noch mehr in die Höhe schiessen und die Dienstleistungen sich noch mehr verschlechtern, dann werden dem Profitstreben zuliebe keine Investitionen mehr getätigt, um die Verteilnetze und Qualität der Leistungen beizubehalten oder gar zu verbessern, die Preise für Leistungen werden angehoben und schliesslich führt diese Politik direkt in eine Zweiklassen-Gesellschaft: Jene, die diese Preise für Transport von Menschen und Waren, Kommunikation, Energie und Wasser noch bezahlen können und jene, die entweder zu wenig Geld verdienen oder aber in die Arbeitslosigkeit geschickt worden sind oder ganz einfach die Dummheit besitzen, nicht in den grossen Agglomerationen zu wohnen, sondern weit vom Schuss in den Bergen und den Ebenen des Landes, fern von den Entscheidungsträgern dieser Privatbetriebe und ihren Politikern, die ans Märchen der wundersamen Geldvermehrung denken beim Abzocken mittels lebensnotwendiger Elemente.

Eigentlich wäre die Bieridee schon ganz zu Beginn zu begreifen. Es braucht keine höhere Intelligenz um zu sehen, wohin diese Privatisierung des Lebens führt, doch vorerst schauen wir zu, wie die Blender ihr Werk in den Untergang treiben:

1.         Die Profitgier der Aktionäre und der Gläubigerbank ist zu befriedigen, denn dies ist ja der ganze Witz an der Privatisierung; dass jene Leute, die schon Geld haben, um Aktien an vormaligen Staatsbetrieben zu erwerben, hohe Dividenden und einen Wertzuwachs auf diesen Aktien erleben dürfen.

2.         Die Manager und Verwaltungsräte beziehen ihre stark überhöhten, an die Privatwirtschaft angenäherten Gehälter, bei mangelndem sozialen Gewissen, denn nicht wahr, da wo diese Herren und Damen herkommen, hat man nie an das Soziale gedacht. Deshalb wird versucht, die Verantwortlichkeit auf andere Schultern zu übertragen und sobald sich dann die Probleme kumulieren, weil die Infrastrukturen nicht mehr subventioniert werden von den Steuerpflichtigen, also jenen, die auch den Nutzen dieser allgemeinen Dienstleistungen empfangen, flüchten sie sich in die Verantwortungslosigkeit, in die Präsentation fauler Bilanzen und Erfolgsrechnungen mit ungenauen und irreführenden Kommentaren zum Geschäftsgang.

3.         Die Infrastrukturen werden nicht korrekt über die Abschreibungen refinanziert und die Modernisierungen, die im Staatsbetrieb selbstverständlich waren, werden hinausgeschoben oder auf Pump zu Lasten der späteren Generationen angeschafft. Der Wirkungsgrad der Anlagen wird daher immer schlechter und die Mitarbeiter des Betriebes sind immer weniger motiviert, für schlechte Löhne mehr zu arbeiten und dabei zusehen zu müssen, wie die Spitze des Unternehmens die unten eingesparten Löhne nun oben absahnt.

Allerdings geht es immer sehr lange, bis das Desaster entdeckt wird. Zu hoch sind die Reserven, die zu Beginn der Privatisierung in Form von guterhaltenen Infrastrukturen, voll ausgebildeten Angestellten, folgsamer Kundschaft, friedlichen Staatsbürgern, geäufnetem Geld bei der Ausgabe der Aktien und hoher Bevorschussung von Banken und Obligationären und anderen Geldgebern bestehen. Es ist gerade dieser "golden start", der den Abstieg umso gewaltiger werden lässt, wenn die Manager nicht mit absoluter Integrität handeln. Doch in diesen Zeiten ist das Wort "Integrität" ein Fremdwort für jene Macher, die als Baby verwöhnt wurden, gratis eine Ausbildung auf Staatskosten an der Universität erfahren durften, als Jungmanager mit Machbarkeitsphantasien überhäuft worden sind und schliesslich an die Töpfe der Pfründen gelangen, nachdem sie gelernt haben, dass Manager werden heisst, möglichst skrupellos zu handeln und andere, feinere, sozialer und ethischer denkende Menschen hinter sich zu lassen. Deshalb lasst alle Hoffnung fahren, ihr biederen Staatsbürger: Die Privatisierer und ihre Helfershelfer sind erst ganz am Schluss zu durchschauen, und dies auch nur dann, wenn ihr fähig seid, in langfristigen Zusammenhängen zu denken und komplexe Sachverhalte zu durchschauen.

Es wird immer dasselbe Szenarium ablaufen: Egal, ob es sich um Bahn-, Post-, Telefoninfrastrukturen, Elektrizitätsnetze oder Wasserversorgung handelt, immer erlebt der staunende Kunde und Staatsbürger das gleiche Schauspiel: Euphorie zu Beginn, dann bröckelnder Optimismus, schlechtere Dienstleistungen bei höheren Preisen und schliesslich die Rettung der Gesellschaften durch die gleichen Leute, die die Betriebe ursprünglich sozusagen an die Aktiengesellschaften verschenkt haben.

Somit verliert der naive Staatsbürger seinen Einsatz gleich mehrfach:

1.         Bei der Übergabe alle Infrastrukturen, Goodwill, Personal, Exklusivrechte, Kundschaft und  Know-how, von den vorgängigen und jetzigen Bürgern mit Steuergeldern bei der Schaffung der Staatsbetriebe eingesetzt, infolge viel zu geringer Gegenleistungen bei der Privatisierung.

2.         Hohe Geldleistungen und Schikanen für die Kunden der immer schlechter werdenden Dienstleistungen ihrer ehemaligen Staatsbetriebe. Statt wie früher diese Betriebe im Interesse von allen am Leben zu erhalten, werden jetzt nur noch jene Bürger, die auf diese Betriebe angewiesen sind, vielfach aus Gründen, die sie nicht beeinflussen können, geschröpft mit immer höheren Preisen, doch viele gehen leer aus, weil sie diese prinzipiell eigentlich allen gehörenden Leistungen nicht mehr bezahlen können.

3.         Rettung dieser Betriebe mittels erneuter Steuergelder der jetzt lebenden Generationen und sogar zu Lasten nachmaliger Generationen, weil mittels hoher Verschuldung des Staates das Wiederherstellen früherer Leistungsfähigkeiten in diesen Betrieben erreicht werden muss, durch Investitionen in jene Infrastrukturen und Betriebsmittel, die inzwischen dem Profit geopfert worden sind.

4.         Schliesslich Entzug der Betriebe von den unfähigen und geldgierigen Privatgläubigen und Rückführung in die Regie eines öffentlichen Betriebes, was wiederum, wie früher, mit Steuergeldern finanziert werden muss. Nun kommen wieder, wie in der Vergangenheit, alle Staatsbürger in den Genuss von Transporten, Kommunikation, Energie und Wasser, denn ohne diese Dienstleistungen konnten sie ihr Leben während der Privatisierungsphase gar nicht mehr vernünftig organisieren.

Fassen wir zusammen: Die Opfer der Privatisierung, die gemeinen Bürger, bezahlen gleich mehrfach für den Geldwahn einer kleinen Schicht von Neoliberalen und merken den Betrug erst, wenn die Sache schon lange nicht mehr zu korrigieren ist, ohne gewaltige neue Mittel in ein Fass ohne Boden einzuschiessen. Doch ich habe Trost bereit: Wenn das obige schlimme Szenarium nicht eintrifft, dann kann noch ein anderes aus der Wahrscheinlichkeitskiste geholt werden. Die am unteren Rand der Gesellschaft vor sich hinvegetierenden Menschen, die sich diese privaten Gaben des Massenkonsenses der noch verdienenden Konsumenten nicht mehr leisten können, proben den Aufstand, dann horchen die mittelmässig betroffenen Menschen erst mal auf, durchschauen schliesslich den ganzen Mist, den die Privatsektierer mit ihrem Diebstahl öffentlichen Eigentums gebaut haben und schicken endlich die Phantasten der privaten Machbarkeit in die Wüste oder enteignen die Gläubigen der privaten Machbarkeitsidee mittels demokratischer Mehrheitsentscheide , wenn sie nicht gar - in manchen, vor allem ärmeren Gegenden der Welt - dazu übergehen, die Profiteure der öffentlichen Vor- und Nachleistungen zu massakrieren.

Warum bei diesen Zukunftsaussichten kein Mensch aus Geldgier und aus falschem Prioritätsdenken heraus auf die Privatisierung öffentlicher Betriebe verzichten will, versteht kein noch denkendes Hirn, das das kommende Desaster schon zu Beginn mit Leichtigkeit wahrzunehmen im Stande war und ebenso die Unmöglichkeit des Gelingens als eine Selbstverständlichkeit begriffen hat: nämlich den unmöglichen Versuch zu wagen und die Illusion zu nähren, dass die Versorgung einer Gesamtbevölkerung unter dem Primat einer gerechten Verteilung von lebensnotwendigen Gütern mit den abstrusen Theorien des reinen Profitwahns des Kapitalismus in Übereinstimmung zu bringen sei. Das Heft der Machbarkeit haben immer Zauberlehrlinge mit Machtgefühlen und mangelndem Netzwerkdenken in der Hand, Leute, die sich masslos überschätzen, von der Realität eingeholt werden und dann für ihre Dummheiten gar das "System" verantwortlich machen wollen. Ihre Rettung ist allein, dass die Betroffenen dieser Selbstüberschätzung die komplizierten Verhältnisse ebenso wenig zu durchschauen vermögen wie die von ihnen zu Beginn und leider meist auch am Ende immer noch hochgeschätzten neoliberalen Privatisierer.