Immer wenn ich von der Entwicklung der Geschichte der Psychoanalyse höre, beschleicht mich ein seltsames Gefühl. Gestern wieder bei einer Dokumentarsendung über die Lebensgeschichte des Sigmund Freund, des "Erfinders" der Psychoanalyse, der Traumdeuterei, des Oedipuskomplexes, der Couch, der Sexphantasien der Kinder und der Erwachsenen, der hysterischen Frauen und der depressiven Männer, kurz all dessen, was da im Oberstübchen des Menschen nicht so ganz funktioniert, wie es sich der Normalverbraucher des Hirns eigentlich vorstellt.
Was nur ist das Geheimnis, ob die ganze Theorie der Psychoanalyse eben stimmt oder gar nicht stimmt und vielleicht gar ein fundamentaler Denkfehler, eigentlich eine Denkkatastrophe ist? Als Mensch, der schon selbst auf der Couch lag und sich wunderte, dass seine Traumdeuterei so gar nichts brachte und eigentlich erst die Pillen eine Eindämmung von Depressionen und Angstzuständen brachten, müsste ich eigentlich ein heisser Verfechter der Analyse des menschlichen Hirns und seiner Gedanken sein.
Da war doch was, in frühester Jugend, nicht war? Vergriff sich nicht ein Bauer an meinem Glied und wurde ich schon sehr jung fündig unter dem Rock einer Bauerntochter? Da muss ich ja für den Rest des Lebens psychisch verstört sein. Und all die Frauen, die willentlich oder unwillentlich sexueller Gewalt ausgesetzt waren? Sollten sie nicht ein ganzes Leben lang "gestört" und behandlungswürdig bleiben nach den Theoretikern der Psychopatenforschung?
Irgendetwas stimmt nicht. Schon seit Jahrhunderten werden sexuelle und andere Übergriffe an den lieben Mitmenschen verübt und bis vor kurzem war das Problem der psychischen Störungen kein Thema. Es gab und gibt Völker, wo es ganz natürlich ist, dass der Vater die Tochter entjungfert. Hat man je davon gehört, dass diese Naturmädchen ein Leben lang unter psychischen Traumatas gelitten hätten? Und warum nicht? Gewalt wurde schon immer ausgeübt an Männern und Frauen, doch wie unterschiedlich die Resultate je nach Situation ausfallen! Irgendetwas stimmt nicht mit der Psyche und ihrer Analyse. Nicht, dass ich die Psychiater und das ganze "Umvolk" arbeitslos sehen möchte. Nur fragen darf ich. Was ist falsch, wenn ein Mensch behauptet, ein sexuelles Abenteuer habe sich so ausgewirkt, dass er sich das Leben nehmen möchte und andernorts verdingen sich Millionen von Frauen mit ihrem Körper von Tag zu Tag und fühlen sich pudelwohl? Diese Prostituierten müssten eigentlich lebende Leichname sein, unfähig, dem kommenden Tag noch mit frohen Sinnen entgegen zu sehen.
Langsam kommen wir der Wahrheit näher. Was erträglich und was unerträglich ist, hat nicht mit dem Tatbestand etwas zu tun, sondern wie wir das Vorgefallene verarbeiten oder aber mit Hilfe anderer Menschen auf die Idee kommen, dass an uns ein grandioses Unrecht begangen worden sei. Ich weiss, wovon ich rede. Meine Erinnerung sagt mir, dass ich nach den Normen der Psychoanalyse geistig und seelisch zerstört sein sollte, all die Männer, die mir in frühester Jugend ihre einfältige Logik aufzwingen wollten, all die Frauen, die meine Gefühle verletzten, all die Militärs, die mir jede Autonomie des Denkens verbaten und befahlen, auf Menschen zu schiessen, all die Mächtigen, die mir täglich fast alles verboten und mir nur zugestanden haben, so zu leben, wie Otto Normalleben eben zu leben hat.
Irgendetwas stimmt nicht. Eine psychische Krankheit ist eine Krankheit - verstanden? Sie kommt und geht vielleicht wieder nach einer Zeit, wie eine Grippe, wie Krebs, mit allen Graden der Bedenklichkeit einer Krankheit. Sie ist verursacht durch Dinge, die im Hirn ablaufen, die der Normalität der Geschehens zuwiderlaufen, die unsere Gehirnströme schlimmstenfalls ins Chaos stürzen. Und deshalb sind wir bald alle depressiv, psychisch gestört und auf Psychoanalyse angewiesen: Die Welt stürzt immer mehr in ein real gelebtes Chaos, unser Hirn versteht immer weniger, was da passiert, unsere Gehirnströme gelangen immer mehr in ein Wirrwarr und schliesslich stehen wir da, wo die von uns bestimmte und kreierte Welt uns haben will: ausserhalb einer Normalität des verkraftbaren Geschehens der Wirklichkeit.
So war es schon immer, so wird es immer sein. Nur die Vermassung des Phänomens ist absolut neu. Selbst in den wildesten Irrungen der mittelalterlichen Wirren war die Psyche der Menschen besser unter Kontrolle als heute. Grund: Damals wurde selbst das Schlimmste noch verstanden und ordentlich geistig eingeordnet, ohne grosse Schädigung der geistigen Gesundheit. Diese Ordnung ist uns abhanden gekommen, wir haben es kaum bemerkt, und nun geht es rasch bergab, hinein in eine unverstandene Störung des Bewusstseins, fernab der Vorstellungen eines Freud oder Jung, die uns mit falschen Optionen glauben machen wollten, dass Erinnerungen an frühkindliche reale oder eingebildete Geschehnisse unsere Psyche beeinträchtigen würden. Nix von Sextrauma, alles nur Folgen der gelebten Realität, die entweder verstanden und akzeptiert wird oder aber jenseits einer vermeintlich lenkbaren und verkraftbaren Linie abläuft. Wo diese Linie wahrzunehmen ist, hängt vom Charakter und der Aufnahmefähigkeit eines einzelnen Menschen ab, denn hartgesottene Machtmenschen und sensible Kulturgeister erleben die Welt total verschiedenartig.
Hier ist sie also, die Antwort: Es ist das Unverkraftbare des Lebens, das unsere Psyche zerstört und nicht einzelne Geschehnisse, die, so schlimm sie auch sein mochten, von uns durchaus verstanden und damit verkraftbar waren, bis uns eingeredet wurde, dass dem nicht so sei. Zeitgeist auch in der Psychoanalyse statt Verstehen, was wirklich in uns vorgeht und was von genügend Gewicht ist, um die Psyche zu kränken, sie also mit Krankheit zu belegen. Auch der Körper reagiert erst negativ, wenn im zuviel zugemutet wird, und so ist es auch mit dem Hirn, dem Zentrum des Geistes.