Schutz von Minderheiten

Im Moment ist das Problem der rechtsextremen Bewegungen, der Skinheads und ihrer Drahtzieher, den neonazistischen Parteien, in allen Medien das Thema Nummer Eins. Waren vor dreissig Jahren - um das Jahr 1968 - die linksextremen Gruppen ein Thema und wurden von der Staatsgewalt mit allen Mitteln als Terroristen, was sie zum Teil auch waren, bekämpft, so wurde mit der rechtsextremen Bewegung lascher verfahren, so als ob die Verursachung, das heisst das schlimmste Kapitel in der Geschichte der Menschenvernichtung, nicht in diesem Jahrhundert stattgefunden hätte und als ob man immer noch eine stillschweigende Sympathie für dieses Gedankengut pflegen könnte. Konservative Politiker, Polizei- und Armeeangehörige weisen zwar diesen Vorwurf weit von sich. Doch warum waren die Reaktionen auf die Gefährdung der Obrigkeiten durch die Linksextremen viel heftiger als nun die Reaktion auf das reale Totschlagen von Ausländern? Ja, hier beginnen einige historisch orientierte Menschen zu denken. Ideologie allenthalben, auch am Ende dieses Jahrhunderts.

Doch erst einmal den Grundgedanken finden, woher diese Extremismus-Erscheinungen immer wieder rühren. Es ist im Grunde einfach: Immer und immer wieder wird es Minderheiten geben, die sich nicht ernstgenommen fühlen, die entrechtet sind, die in der Gesellschaft nichts zu melden haben. Waren es früher jene, die Gerechtigkeit für die Armen und Ausgegrenzten gegenüber den Wirtschaftsbossen erzwingen wollten, und sei es mit Entführungen und Erpressung, so haben die rechtsextremen Bewegungen viel banalere Ursachen. Heute ist jemand nichts, der nicht über Intelligenz verfügt und diese einsetzen will und kann, um zu Geld zu kommen. In diesem Sinne sind die meisten Skinheads, vor allem wenn sie den Ehrgeiz entwickeln, in der Gesellschaft ebenfalls etwas zu gelten und zu Geld zu kommen, auf einem hoffnungslosen Abstellgleis. Schon früh merken sie in der Schule, dass sie im wirtschaftlichen Wettbewerb unterliegen werden. Zuerst sind sie entmutigt, doch schliesslich finden sie Gleichgesinnte und rotten sich zusammen. Ihrer intellektuellen Kapazität entsprechend ist natürlich das neonazistische Gedankengut sehr willkommen, denn einerseits kommen sie einem irrealen Machtbedürfnis entgegen und anderseits werden diese Ideen von den sie beherrschenden Oligarchien und den von diesen profitierenden Massen verurteilt und begründen damit erst recht, wie interessant die herausfordernden neonazistischen und rechtextremen Theorien für die "normale" Gesellschaft offenbar sind.

Alles sehr gute Gründe, um exakt dieses Gedankengut zu pflegen und dann die Macht an noch schwächeren Minderheiten auszuleben, indem Opfer gesucht werden, die offenbar von einem grossen Teil der Parteien und des Volkes ebenfalls nicht sehr geliebt werden. Hier hat man ein gesundes Potenzial an Machtausübung und die Legitimation für Verfolgung, Bedrohung und Totschlagen ist halbwegs schon gegeben und die Absolution erteilt. So wie die katholische Kirche dem Hitlertum seinerzeit schamlos die Absolution erteilte, obschon sie von der Judenverfolgung und -massentötung wissen musste, genau so fühlen sich die Rechtsextremen heute zu ihrem Tun legitimiert durch vorherrschende öffentliche Meinungen.

Was verurteilen wir eigentlich an geistig nicht anspruchsvollen Minderheiten, was wir bei Nationen und Kirchen absolut willkommen heissen oder doch mindestens ohne grossen Widerstand hinnehmen? Wenn wir diese Minderheiten nicht mehr sehen wollen, dann müssen alle Menschen, auch die verachtetsten, in die Gesellschaft integriert werden können, indem diese auf Gebieten, wo sie stark und nützlich sind, als gleichwertig und gleich bezahlt eingegliedert werden. Jede Person, egal welcher Herkunft, egal welche Eltern sie hatte und in welchem Ghetto sie aufwachsen musste, hat Anspruch auf ein Minimum an Achtung und Wertschätzung. Wo dies wegfällt, ist der Keim für einen zukünftigen Terrorismus schon gelegt. So war es zu allen Zeiten bei allen Minderheiten der Welt, die nicht kuschen wollten, die bestehende Ungerechtigkeiten wie Landraub, fehlende Chancen in der Karriere, Missachtung der Person vor Gesellschaft und Gesetz, Wirtschaft, Politik und Moral erleben mussten und sich schliesslich entschieden, irgend etwas dagegen zu tun. Doch selbst bei Verstehen dieser Zusammenhänge ist es gleich wie bei Umweltschutz, Kriegstreiberei, Machtmissbrauch aller Art. Die Gesellschaft kann es nie schaffen, hier eine Lösung zu finden, denn dies würde ja bedeuten, in anderen Kategorien zu denken als bisher. Wohlverstanden, die sogenannt "Normalen" müssen zuerst umdenken lernen, bevor sie dies von benachteiligten Personen, Volksminderheiten oder gar ganzen Kontinenten verlangen. Ungerechtigkeit in der Verteilung von Gütern, von Land, von Privilegien ist ein planetares Problem, das sich nicht mit tagespolitischen "Weisheiten" der starken Mehrheiten der privilegierten Nationen der Erde lösen lässt.

Wahrscheinlich will gar kein Mensch eine Lösung der beobachteten Misere sehen, denn solange sich diese Entwicklung für schweigende Mehrheiten von Privilegierten und Bevorteilten nicht direkt destruktiv auswirken wird und die Eliten an der Macht bleiben können, solange werden missbrauchte Minderheiten keine Legitimation zu einer besseren Lebensbasis erhalten. Die heutigen Verhältnisse bleiben bestehen, honoriert durch Stillschweigen der Nicht-Betroffenen und durch halbherzige "Massnahmen" der Regierungen zur Eindämmung des unverständlich gewordenen Seins. All dies geschieht nicht aufgrund einer höheren Philosophie oder Erkenntnis, sondern ist  täglich gelebte und nicht verstandene Wirklichkeit um das Jahr 2000.

Ich denke, dass wir nie richtig begreifen, wir Privilegierten, was es heisst, von der Natur depriviert, also benachteiligt worden zu sein, sei es in Bezug auf Körperschönheit, Intelligenz, Reichtum, Eltern, geographische und geistige Ausgangslage, Geburtsort oder was auch immer. Doch wenn wir es begreifen, können wir nicht anders als weinen über das Schicksal jener, die verlassen sind von Gott, seit ihrer Geburt vielleicht, wo die Vorsehung des Lebens nicht freundlich gesinnt war. Der grösste Triumph wäre es allerdings, wenn Menschen wie die Skinheads und andere wenig privilegierte Minderheiten ihre eigene Situation verstehen, dann aus ihrem Tagtraum erwachen, um traurig zu werden und im Erkennen der eigenen Wirklichkeit weinen zu könnten. Das wäre eine gute Voraussetzung für einen Neuanfang im Leben und der Bildung eines Gefühls von Gleichwertigkeit zu jenen, die ein besseres Schicksal in die Wiege gelegt bekommen haben.