Was ist sie - die Realität?

Wir sind im Erleben des alltäglichen Lebens der Meinung, dass die Realität uns völlig bekannt sei, sie sei identisch mit unserem gelebten Leben, die Realität sei die Erde, so wie sie heute besteht und von uns wahrgenommen wird. Es sei also wirklich so, dass wir die wahre Realität wahrnehmen könnten. Damit sind wir natürlich aller alternativen Gedanken und Philosophien über eine andere Wahrnehmung und Gestaltung von Wirklichkeit enthoben.

Doch was ist sie nun wirklich, die Realität?

Sagen wir es kurz: Wir nehmen nur  e i n e  Realität wahr, nämlich jene, die wir uns auf der Erde selbst gemacht haben. Und diese könnte, als Annahme, vielleicht nur einen Tausendstel der Möglichkeiten von Realitäten, die wir uns im Laufe der Evolution und der Zeit hätten schaffen können, ausmachen. Es stimmt zwar, dass die Natur, also jene von "Gott" geschaffene, ohne unseren direkten Einfluss entstanden ist. Auch unsere Wahrnehmung und die daraus fliessenden Philosophien von diesen uns gegebenen Umständen des Seins werden beeinflusst von den realen Vorgaben des gelebten Seins. Es besteht also eine irre Spirale der gegenseitigen Beeinflussung von Denken und der Schaffung von Wirklichkeiten des Denkens und Seins.

Doch der Mensch hat immer mehr Einfluss gewonnen auf das Weltgeschehen, richtiger, auf das Erdgeschehen, und dabei hat er sich eine eigene, von einer natur- oder gottgegebenen Entwicklung abweichende Realität des Seins geschaffen mit den Mitteln der Wissenschaft, der Technologie, der Macht des Kapitals. Davon ist in den letzten zweihundert Jahren schliesslich alles abhängig geworden: Die Natur, die Pflanzen, die Tiere, Wasser, Boden, Luft und am Ende wir selbst, die Gattung Mensch. Eigentlich eine Binsenwahrheit, wenn sie nicht von ungeheurer Konsequenz und Wirkung für unser Denken und Handeln sein würde: Wir sind nicht mehr Produkte von Gottes Gnaden, sondern solche von Menschen Gnaden. Diese geisteswissenschaftlich vorerst noch uninteressante Wirklichkeit beeinflusst unser Sein bald einmal total und wir sind immer weniger in der Lage, den Prozess, der sich aus dieser Tatsache ableitet, in seiner Realität wahrzunehmen, wir verkommen zu blinden Gläubigen in das selbst geschaffene Modell des Erdseins, und nur ganz wenige sehr intelligente Menschen sind noch in der Lage, diese Realität des gegebenen Seins gegen ein mögliches Sein abzuwägen.

Unsere Entwicklung hätte Tausende von verschiedenen Wegen gehen können und hätte damit auch unser Sein wesentlich anders gesteuert: die Art des Denkens, des Philosophierens, der Geschwindigkeiten, der Entwicklung, der Fortbewegung, der Veränderungen auf der Erde wie Klima, Umweltverschmutzung, Ressourcenverzehr, Abhängigkeiten von Macht, Geld, Waffen, Forschung, Informationen, Gesundheitswesen, Pharmakologie und aller anderen Instrumente der Beeinflussung unserer gelebten Realität. Weil all dies Tatsache ist, kann man feststellen, dass wir für uns nur  e i n e n  Weg der Entwicklung aus Tausenden von möglichen Wegen geschaffen haben.

Wir sind uns wie gesagt dieses Umstandes jedoch nicht bewusst und tun so, als ob es nur diesen einen Weg des "Fortschritts", ja gar des ewigen "Wachstums" von Wissen, Technik, Verbrauch, Beschleunigung, Geldvermehrung, ja überhaupt des Denkens von Bewertbarkeit des Daseins über das Kapital, gegeben hätte. Meine Behauptung: Bei der gegebenen Konstruktion der Menschenhirne hätten nur sehr wenige Wege dazu führen können, dass diese Menschheit in ein lebbares, langandauerndes "Paradies", also das Gegenteil einer selbstgeschaffenen Hölle, gefunden hätte und sich eben nicht hin zu einer eigentlichen Selbstvernichtung des Seins auf der Erde entwickeln würde.

Diese Behauptung ist nicht nachkontrollierbar, solange der Prozess des einmal gewählten Weges des Denkens, der Philosophie und darauf aufbauend des Handelns hin zum Endpunkt noch im Entwicklungsstadium ist. Erst ganz am Schluss, wenn das Endresultat der gewählten Lebensart und Weltanschauung erkennbar wird, stellen wir die Wirkung selbstgeschaffener Realitäten fest und verstehen den Weg, wie er bei einer erfreulichen Entwicklung hätte sein müssen. Unterwegs zu dieser Erkenntnis bleiben wir blind, behaftet auf die Begründung und Verbesserung des Seins, dass wir es vorzu schaffend doch nicht verstehen und trotzdem gleichbleibend in die gleiche Richtung "verbessern", wobei jede "Verbesserung" in die falsche Richtung des Denkens und Handelns nur in den Kollaps führt und uns somit wie von selbst dem Abgrund immer näher kommen lässt.

Doch im fahrenden, ja rasenden Zug die Richtung der philosophischen Erkenntnisse zu ändern und damit zu anderem Denken und Handeln zu gelangen, ist praktisch unmöglich und deshalb ist auch mein Versuch, gedankliche Weichen zu stellen, dem Untergang geweiht. Dieser Umstand ist sehr schade, denn im Verständnis der Nachgeborenen und ihren nicht mehr veränderbaren Möglichkeiten in ihrer Gegenwart und Zukunft war das Denken und Handeln der Menschheit in den letzten zweihundert, vielleicht sogar in den letzten zweitausend Jahren, ein Verbrechen am ethischen Denken, am ökologischen und sozialen Handeln und auch in Bezug auf die Menschenverantwortung am Erdendasein für alle Arten dieses Planeten. Ein Innehalten in einer Fehlentwicklung, heute, wäre die einzige Chance für einen Neubeginn einer Zivilisation, die blind ins eigene Verderben stürzt, durch Überhöhung einer schon bestehenden Entwicklung, die ein Überleben der Gattungen auf dieser Erde nicht mehr ermöglichen kann, es sei denn, dass die Chance des Neu-Denkens erfasst und ein fundamental neues Handeln aus der Taufe gehoben würde. Ein Fehler aller Philosophien und der daraus resultierenden Denkfähigkeit und Denkrichtung der Gattung Mensch - im Rückblick gesehen, am Ende einer aus einer Vielzahl von Möglichkeiten selbst gewählten Menschheitsentwicklung.

Wir hatten keinen Einfluss auf die biologische Entwicklung - wenigstens nicht bis zu den Tagen der Genmanipulation - und auf die Gestaltung der Gattung Mensch, bis vor nicht allzu langer Zeit. Doch nach der Wissens- und Technologie-Explosion hatten wir und haben wir noch heute Tausende von Möglichkeiten, wie wir die Realität dieser Welt wahrnehmen wollen und darauf aufbauend unser Denken und Handeln gestalten werden, um damit eine andere Realität des Lebens zu erwirken. Der jetzt gewählte Weg, jedoch, führt uns in die Katastrophe.